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Aufgrund dessen nahm ich mir die Mühe, die Bücher aller Gelehrten, die ich in die Hand bekommen konnte, nochmal in der Absicht zu lesen, um nachzuspüren, ob nicht einmal einer vermutet hätte, die Bewegungen der Weltkugeln seien anders, als die Leute sie ansetzten, die [zur Zeit des Kopernikus] an den Schulen Mathematik lehren. Und ich fand tatsächlich bei Cicero1: Als Erster habe Hiketas2 die Meinung vertreten, die Erde bewege sich. Später habe ich auch bei Plutarch3 gefunden, dass noch andere dieser Meinung waren. […] Indem ich also die Bewegungen angesetzt habe, die ich der Erde in dieser Arbeit weiter unten beilege, habe ich nach vieler, langer Beobachtung endlich gefunden: Wenn man die Bewegungen der übrigen Wandersterne auf eine Kreisbewegung der Erde bezieht und entsprechend dem Umlauf jedes Sterns die Rechnung macht, so folgen daraus nicht nur deren Erscheinungsbilder, sondern auch bei allen Sternen und Kreisläufen sind Anordnung und Größe, und überhaupt das ganze Himmelsgeschehen selbst, so verknüpft, dass in keinem Teil von ihm etwas umgestellt werden kann, ohne bei den übrigen Teilen und überhaupt im ganzen All Verwirrung [anzurichten]. Wenn es vielleicht doch Dummschwätzer geben wird, die, ob sie schon jedes mathematischen Wissens unkundig sind, darüber ein Urteil sich anmaßen und aufgrund irgendeiner Stelle der SCHRIFT, die sie zu ihrem Zweck bös verdreht haben, sich erfrechen sollten, dies mein Vorhaben zu tadeln und zu verunglimpfen, so halte ich mich mit denen nicht auf, dermaßen dass ich im Gegenteil ihr Urteil als leichtfertig verachte. […] Was ich in der Sache zustande gebracht habe, überlasse ich dem Urteil Deiner Heiligkeit zuvörderst und dem aller anderen gelehrten Mathematiker. Und um nicht den Eindruck zu erwecken, ich verspräche über den Nutzen des Werks Deiner Heiligkeit mehr, als ich halten kann, gehe ich nun zum Vorhaben über. Nicolaus Copernicus, Das neue Weltbild, übersetzt und herausgegeben von Hans Günter Zekl, Hamburg 2006, S. 71 79 1. Erklären Sie, warum Kopernikus die Kreisbewegung der Erde als plausible Überlegung erscheint. 2. Arbeiten Sie heraus, mit welchen Einwänden Kopernikus auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes und der Bibel zu rechnen hatte. 3. Erörtern Sie, welche Funktion den antiken Autoritäten und der Mathematik in den Erklärungen der Vorrede zukommt. 1 Cicero: römischer Politiker und Schriftsteller im 1. Jh. v. Chr., nach 1500 viel gelesener und viel zitierter Autor 2 Hiketas: griechischer Philosoph im 4. Jh. v. Chr. 3 Plutarch: griechischer Geschichtsschreiber und Philosoph im 1. Jh. n. Chr. u Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus. Illustration aus Andreas Cellarius’ „Harmonia macro cosima“, 1661. Die lateinische Inschrift lautet übersetzt: „Plan des kopernikanischen Planetensystems oder des Systems des gesamten erschaffenen Universums, basierend auf der Hypothese des Kopernikus“. 5 10 15 20 25 30 35 101Renaissance und Humanismus: ein Umbruch N r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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