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M3 Arbeitslos – und dann? Ein anonymer Betroffener beschreibt 1930 in der „ArbeiterIllustrierten-Zeitung“ seine persönliche Situation: Du hast eines Tages den berühmten „blauen Brief“ erhalten; man legt auf deine Arbeitskraft kein Gewicht mehr, und du kannst dich einreihen in die große „graue Masse“ der toten Hände und überfl üssigen Hirne, denn die Maschine ersetzt dich, und jüngere Arbeitskräfte leisten für weniger Geld deine Arbeit. […] Was dir zunächst als persönliches Schicksal und individuelles Unglück erscheint auf dem Arbeitsnachweis1, wo du dich zunächst melden musst, damit du später (nach der zufrieden stellenden Beantwortung von über 300 Fragen auf X Fragebögen) die Erwerbslosenfürsorge in Anspruch nehmen kannst, auf dem Arbeitsnachweis merkst du: Wie dir geht es Tausenden. […] Hier beginnt dein Leidensweg. Man fragt dich aus, wo du in den letzten vier Jahren beschäftigt warst, du musst deinen Lebenslauf schreiben, den Besuch der Schulen angeben, schreiben, warum du entlassen worden bist usw. […] Nach peinlicher Befragung erhältst du deine Stempelkarte und gehst damit los zur Erwerbslosenfürsorge. Und hier setzt man dir mit Fragen zu, bis du keinen trockenen Faden mehr am Leibe hast. Dass du lebst, glaubt man dir noch, aber wo du in den letzten drei Jahren gelebt hast, musst du aufgrund polizeilichen Stempels und amtlicher Unterschrift nachweisen. […] Normalerweise hast du drei bis vier Tage zu tun, um alle Papiere beisammen zu haben, und dann kriegst du Unterstützung? So schnell geht das nicht! Erst wenn dein Antrag geprüft und von X Beamten unterschrieben ist, kannst du im günstigsten Fall nach vierzehn Tagen dein erstes Geld holen. […] Deine Unterstützung richtet sich nach deinem Arbeitsverdienst in den letzten 26 Wochen. Aber ganz gleich, ob du 8,80 Mk oder 22,05 Mk (Höchstsatz) als Lediger pro Woche erhältst, die paar Pfennige sind zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. 26 Wochen darfst du stempeln und Unterstützung beziehen, dann steuert man dich aus, und du kommst in die Krisenfürsorge, deren Sätze erheblich niedriger sind. Und nach weiteren 26 oder 52 Wochen erhältst du gar nichts mehr und gehörst zu den gänzlich Unterstützungslosen. Wochenschau für politische Erziehung, Sozialund Gemeinschaftskunde, 48 (1997) 1, S. 33 5 10 15 20 25 30 35 1. Beschreiben Sie die Hindernisse, die Arbeitslose zu überwinden hatten, bevor sie Unterstützung bekamen. Zeigen Sie auf, was die Betroffenen heute tun müssen. 2. Diskutieren Sie, welche Auswirkungen Arbeits losig keit auf die politische Einstellung der be troffenen Personen haben kann. 1 Arbeitsnachweis: Erfassungsstelle für Arbeitslose i Die Arbeitslosen. Ölgemälde (167 x 172 cm) von Karl Hofer, 1932. p Beschreiben Sie die Stimmung, welche das Gemälde ausdrückt. p Erklären Sie, welche Gründe den Maler zur Wahl dieses Motivs bewogen haben können. 327Die Zerstörung der Demokratie Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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