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Auszug aus Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun? (1932) „Heute muss ich für dreihundert Mark verkaufen“, beim Erwachen, beim Kaffeetrinken, auf dem Weg, beim Eintritt in die Abteilung, immerzu: „Dreihundert Mark.“ Nun kommt ein Kunde, ach, er will einen Mantel haben, achtzig Mark, ein Viertel des Solls, entschließ dich, Kunde! Pinneberg schleppt herbei, probiert an, über jeden Mantel ist er begeistert, und je aufgeregter er wird (entschließ dich!), um so kühler wird der Kunde. Ach, Pinneberg zieht alle Register, er versucht es mit Untertänigkeit: „Der Herr haben ja einen so vorzüglichen Geschmack, den Herrn kleidet ja alles…“ Er spürt, wie er dem Kunden immer unangenehmer wird, wie er ihm widerlich ist, und er kann nicht anders. Und dann geht der Kunde: „Will es mir noch mal überlegen.“ Pinneberg steht da, er fällt gewissermaßen in sich zusammen, er weiß, er hat alles falsch gemacht, aber da saß es in ihm, es trieb, Angst, da sind die beiden zu Haus, es ist doch schon so knapp, es reicht nicht hin und her, wie soll es erst werden, wenn –? Gewiss, er hat es noch nicht ganz schlimm, Heilbutt kommt, Heilbutt ist der anständigste der Anständigen, er kommt von selbst, er fragt: „Pinneberg, wieviel –?“ Er ermahnt ihn nie, es anders zu machen, sich zusammenzunehmen, er quatscht nicht klug wie Jänecke und der Herr Spannfuß, er weiß, Pinneberg kann es, er kann es nur jetzt nicht. Pinneberg ist nicht hart, Pinneberg ist weich, wenn sie auf ihn drücken, verliert er die Form, er geht auseinander, er ist nichts, Brei. Oh, er verliert den Mut nicht, er reißt sich immer wieder zusammen und er hat glückliche Tage, wo er ganz auf seiner alten Höhe ist, wo kein Verkauf misslingt. Er denkt, die Angst ist überwunden. Und dann gehen sie an ihm vorbei, die Herren, und sagen so im Vorbeigehen: „Na, Herr Pinneberg, könnte auch etwas lebhafter gehen der Verkauf.“ Oder „Warum verkaufen Sie eigentlich gar keine dunkelblauen Anzüge? Wollen Sie, dass wir die alle am Lager behalten?“ Sie gehen vorüber, sie sind vorbei, sie sagen dem nächsten Verkäufer etwas anderes oder dasselbe. Heilbutt hat ja recht, man darf gar nichts darauf geben, es ist nicht wie ödes Antreibergeschwätz, sie denken, sie müssen so was sagen. Nein, man soll nichts darauf geben, was sie schwätzen, aber kann man das? Da hat Pinneberg heute für zweihundertfünfzig Mark verkauft, und da kommt dieser Herr Organisator und sagt: „Sie sehen so abgespannt aus, Herr. Ich empfehle Ihnen Ihre Kollegen drüben in den States als Vorbild, die sehen abends genau so munter aus wie am Morgen. Keep smiling! Wissen Sie, was das heißt? Immer lächeln! Abgespanntheit gibt es nicht, ein abgespannt aussehender Verkäufer ist keine Empfehlung für ein Geschäft…“ Er entschreitet, und Pinneberg denkt restlos: „In die Fresse! In die Fresse, du Hund!“ Aber er hat natürlich sein Dienerchen und sein Smiling gemacht, und das sichere Gefühl ist auch wieder weg. Ach, er ist noch gut daran. Er weiß von ein paar Verkäufern, die sind hinbestellt worden auf das Personalbüro und sind verwarnt oder ermuntert, je nachdem. „Hat die erste Spritze gekriegt“, sagen sie. „Stirbt bald.“ Denn dann wird die Angst ja noch größer, der Verkäufer weiß, es kommen nur noch zwei Spritzen und dann ist Schluss: Arbeitslos, Krisen, Wohlfahrt, Schluss. Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun?, Reinbek 1993, S. 228f. [Originalausgabe 1932.] 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Methoden-Aufgabe Interpretieren Sie den folgenden Textauszug als historische Quelle. 329Literarische Texte analysieren Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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