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Besonderes Augenmerk gilt in der Forschung dem Holocaust. Gemäß einer frühen Deutung war der persönliche Judenhass Adolf Hitlers entscheidend für die Massenmorde. In den Sechzigerund Siebzigerjahren war dann viel von einem „Selbstläufertum“ der Institutionen die Rede, von einer seelenlosen Maschinerie des Tötens, die, einmal in Gang gesetzt, kaum noch zu stoppen gewesen sei. Dass für diese Maschinerie aber der bereitwillig Ausführende eine ebenso tragende Rolle spielte wie eine verbreitete Volksmentalität, in der ein aggressiver Antisemitismus sich seit dem 19. Jahrhundert entwickeln konnte, ist erst in jüngster Zeit hervorgehoben worden. Auch die lange Zeit für unantastbar gehaltene Rolle der Wehrmacht im NS-Regime, die, von Ausnahmen abgesehen, nicht an den Verbrechen gegen Juden beteiligt gewesen sei, wurde widerlegt, unter anderem durch die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Trotz einiger wissenschaftlicher Irrtümer, die korrigiert werden mussten, führte die Ausstellung die Beteiligung der Armee an rassistischen Verbrechen vor Augen. Die jüngsten Forschungen des Historikers Götz Aly belegen, wie nicht nur die Wehrmacht, sondern viele Deutsche fi nanziell vom Raubmord an den Juden profi tierten.* Relativierung der Verbrechen? Ein weiterer „entlastender“ Ansatz ist die Totalitarismus-Interpretation. Sie sieht die eingeschränkten Rechte des Individuums, die Verfolgung Andersdenkender oder Machthierarchien ohne klare Kompetenzverteilung ebenso im Stalinismus wie in rechten Diktaturen verwirklicht. Daraus schließt sie auf eine allgemeine, nicht nur den Deutschen eigene Neigung zu autoritärer Herrschaft. Einen Schritt weiter ist Ernst Nolte gegangen, der die These vom europäischen Bürgerkrieg vertrat: Er hat versucht, Faschismus und Bolschewismus konsequent als gesamteuropäisches Phänomen zu interpretieren, das mit einer gewissen Zwangsläufi gkeit und in gegenseitiger Abhängigkeit zur Katastrophe geführt habe. Die Deutungsvarianten „Totalitarismus“ und „europäischer Bürgerkrieg“ sehen sich freilich dem Vorwurf ausgesetzt, durch die Betonung des internationalen Kontextes die spezifi sch deutschen Verbrechen relativieren und verharmlosen zu wollen. An diesen Auffassungen entzündete sich in den Achtzigerjahren der „Historikerstreit“ in Fachwelt und Presse (u M1, M2). „Gedenkkultur“ Gedenktage, Gedenktafeln und Museen sollen die Verbrechen der NS-Diktatur im öffentlichen Bewusstsein wach halten. So wurde beispielsweise der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, zum nationalen Gedenktag und 2005 zum internationalen Holocaustgedenktag erklärt. Wie schwierig es ist, eine öffentliche Gedenkstätte zu gestalten, in der sich der Umgang mit der NS-Zeit angemessen ausdrückt, zeigen die Diskussionen um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Schon 1988 gründeten Lea Rosh und Eberhard Jäckel eine Bürgerinitiative zur Errichtung einer Gedenkstätte. Bei den heftigen öffentlichen Diskussionen war besonders umstritten, ob nicht ein Mahnmal errichtet werden sollte, das allen Opfern des NS-Terrorregimes gewidmet ist. Nachdem ein erster Entwurf abgelehnt wurde, entschied sich am 25. Juni 1999 eine Bundestagsmehrheit für einen revidierten Entwurf des amerikanischen Architekten Peter Eisenman. Einen besonders kritischen Umgang mit der Geschichte fordern unsere europäischen Nachbarn ebenso wie Opfer und Hinterbliebene. Auch wenn das Deutschland der Nachkriegszeit einen überwiegend positiven Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der Völker leisten konnte, wird es doch noch lange am Umgang mit den dunk len Seiten seiner Vergangenheit gemessen werden. * Siehe Seite 351. i „Er hat mir’s doch befohlen!“ Karikatur von 1946. Vom 20. 11. 1945 1. 10. 1946 klagten die Siegermächte im „Nürnberger Prozess“ die Hauptkriegsverbrecher an (siehe Seite 404 f.). p Erörtern Sie die Aussagen der Karikatur. 393Umgang mit der NS-Zeit Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge tu m d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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