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427Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland 1945 1989 Die 68er-Bewegung Während die Mehrheit der Bevölkerung den wachsenden Wohlstand genoss, formierte sich in der westlichen Welt aus überwiegend studentischen Gruppen eine Protestbewegung gegen die Zustände in Staat und Gesellschaft. Vorbild war das Aufbegehren von Studen ten in den USA gegen gesellschaftliche Missstände (Armut, Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung) und den Vietnam-Krieg*. Hinzu kamen die Ablehnung der überkommenen Werte der Elterngeneration, Skepsis gegen die Industriegesellschaft und die Suche nach neuen Lebensstilen. Leitbild der „Neuen Linken“ waren die Politisierung und Demokratisierung aller Lebensbereiche und die Utopie von der herrschaftsfreien Gesellschaft, in der es keine Klassengegensätze und keine Ausbeutung mehr geben, in der Selbstbestimmung statt „Fremdbestimmung“ herrschen sollte. Die Protestbewegung der studentischen Jugend erfasste alle westlichen Länder. Besonders heftige Unruhen brachen in Frankreich im Mai 1968 aus. Dort protestierten die Studenten gegen die überfüllten Universitäten und die Staatsführung unter Präsident de Gaulle, errichteten Barrikaden und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Im Gegensatz zu den USA oder der Bundesrepublik sympathisierten weite Kreise der Bevölkerung mit den rebellierenden Studenten. Jugendproteste ganz anderer Art gab es damals in der kommunistisch beherrschten Tschechoslowakei. In den Zielen der Reformkommunisten um Alexander Dubcˇek sahen viele den „Frühling“ einer Entwicklung hin zu Meinungsfreiheit und politischer Liberalisierung. Der Einmarsch von Streitkräften der Warschauer Vertragsorganisation im August 1968 begrub diese Hoffnungen jedoch umgehend. In der Bundesrepublik blieb die Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung zunächst auf universitäre Zirkel in West-Berlin und Frankfurt am Main begrenzt. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), von dem sich die SPD bereits 1960 getrennt hatte, bildete mit seinem Wortführer Rudi Dutschke zugleich den Kern der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Mit den Mitteln der Provokation und des spielerischen, geistreichen Protestes („sit-ins“) stellte die Studentenbewegung zunächst die autoritären Strukturen an den Universitäten bloß. Bald verlagerte sich der zunehmend neomarxistisch beeinfl usste Protest auch auf die Straße. Unterschiedliche Forderungen wurden laut: • die Beendigung des Vietnam-Krieges, • Widerstand gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition, • eine Reform der akademischen Ausbildung (mehr Studienplätze, mehr Mitsprache der Studierenden), • ein offener Dialog mit der Generation der Eltern und Großeltern über die NS-Vergangenheit, • Abschaffung des westlichen Gesellschaftssystems mit seiner angeblichen Verbindung von Imperialismus und Kapitalismus. Die „Kinder des Wirtschaftswunders“ wandten sich gegen das einseitige, unkritische Konsumdenken der Gesellschaft. Teile der Studentenschaft radikalisierten sich dabei so stark, dass sie die bestehende Gesellschaft grundsätzlich ablehnten und die „kapitalistischen Verhältnisse“ durch „sozialistische“ ersetzen wollten – notfalls mithilfe einer Revolution. * Siehe Seite 496 f. i Demonstration in West-Berlin. Foto (Ausschnitt) vom 18. Februar 1968. Mit Plakaten und Postern ihrer Vorbilder protestierten die Studenten 1968 gegen den Krieg in Vietnam. Die Porträts zeigen (von links nach rechts) den nordvietnamesischen Revolutions führer Ho Chi Minh, die sozialistische Politikerin und Theoretikerin Rosa Luxem burg, den kubanischen Revolutionär Che Guevara und den Begründer des Sowjetkommunismus Lenin. Neomarxismus: Sammelbegriff für alle kommunistischen Denkrichtungen, die vom Marxismus-Leninismus abweichen; hier: Weltanschauung, die den Kommunismus nicht durch die Arbeiterklasse, sondern durch Intellektuelle und Studenten aller Länder verwirklicht sehen will Rudi Dutschke (1940 1979): Soziologe, Führungsfi gur der APO sowie der Studentenbewegung in der Bundesrepublik. Starb an den Spätfolgen eines 1968 auf ihn verübten Anschlages.ur zu P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc h r V er la gs | |
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