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M1 „Gott hats ausgetheilt“ Der bayerische Wallfahrtspriester Christoph Selhamer wird durch seine wortgewaltigen und einfallsreichen Predigten bekannt, die das Leben des Volkes farbig schildern. 1703 beschreibt er Wesen und Aufgabe der einzelnen Stände: Gott hats schon recht ausgetheilt. Er hat einem jeden Menschen sein gewisse Stell und Handthierung verordnet, die ein jeder fl eissig behaupten soll. Großen Herrschafften hat er Sinn und Verstand, Gewalt und Oberhand, Schwerdt und Scepter geben, daß sie Land und Leuth weißlich und vorsichtig regieren sollen. Denen Geistlichen hat er Fried und Lieb, Andacht und Gottesfurcht, nüchteren und keuschen LebensWandel, Seeleifer und inbrünstiges Gebett aufgetragen, so sie für alle andere insgesambt ordentlich verrichten sollen. Den Soldaten hat er Muth und Hertz, langwierige Gesundheit und starcke Kräfften, Gehorsam und Gedult ertheilt, daß sie im Feld mit dem Feind keck herumschlagen, alle ihre Landsleuth von allen feindseeligen Einfall beschützen, den lieben fried ins Land bringen und darin erhalten sollen. Den Bauren aber […] hat er frisch und gesunds Leben, Muth und Krafft zur steten Arbeit verschafft, daß sie durch ihren Feldbau und Viehzucht sich und alle andere ernähren und erhalten sollen. Also laut der Weid-Spruch: Tu rege, tuque protege, tuque labora. Du regier, und du bleib beym Brevier, Du streit, und der bleib bey der Arbeit. Eben darum seyd ihr Bauern höchlich zu rühmen, und in hohen Werth zu halten, weil ihr alle andere mit dem liebseeligen Brot versehen solt. Der protestantische Theologe Erasmus Alber verfasst 1530 ein Gedicht über die Stände: Fein ordentlich hat Gott die Welt mit dreien Ständen wohl bestellt: Ein Stand muss lehrn, der andre nähren, der dritt muss bösen Buben wehren. Der erst Stand heißt die Priesterschaft, der zweit Stand heißt die Bauernschaft, der dritt, das ist die Obrigkeit. Ein jeder Stand hat sein Bescheid1. Und keiner sei so unverschampt, dass er dem andern greif ins Amt, kein Stand den anderen veracht, Gott hat sie alle drei gemacht. Und lebten wir in solcher Weis, wir hätten hier das Paradeis. Doch wer will gut sein hier auf Erden? Nach dieser Welt wird’s besser werden. Erster Text zitiert nach: Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 2, München 1992, S. 179 Zweiter Text zitiert nach: Detlef Plöse und Günter Vogler (Hrsg.), Buch der Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476 1555), Berlin 1989, S. 53 1. Arbeiten Sie heraus, wie Selhamer und Alber die Gesellschaft gliedern. Welche Aufgaben werden den Ständen zugewiesen? Wie wird diese Verteilung gerechtfertigt? 2. Erläutern Sie die Ziele und Funktionen, die nach Meinung der Verfasser eine solche Gesellschaftsordnung zu erfüllen hat. 3. Vergleichen Sie die Texte und analysieren Sie, welche Sicht einer Gesellschaft und einer Weltordnung jeweils deutlich werden. Schließen Sie aus der Art der Darstellung auf die Haltung der Verfasser. u „Die drei Stände der Christenheit.“ Gemälde von Bartholomäus Bruyn d. Ä., um 1530/40. p Erklären Sie, welche Personen dargestellt werden, und ordnen Sie diese den Ständen zu. Welche Rolle nehmen sie in der Gesellschaft ein? Welche Gruppen fehlen? 1 Bescheid: Bestimmung, Aufgabe 5 10 15 20 25 30 35 69Die mittelalterliche Ständegesellschaft Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt u d e C .C .B uc hn er V er la gs | |
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