Volltext anzeigen | |
1. Die Gesellschaft entscheidet stets aufs Neue, was noch erinnerungswürdig ist. 2. Menschen, die noch aus eigenem Erleben zu den ältesten Erinnerungen sprechen können, sterben aus. 3. Die Erforschung der Quellen aus vergangenen Zeiten schreitet stetig voran und setzt in jeder Generation neue Akzente. M1 Was bedeuten Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur? Der Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel beschreibt Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur in einem Wörterbuch wie folgt: a) Geschichtsbewusstsein Geschichtsbewusstsein ist ein psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens, der zwar über dieses Wissen gebildet wird, ihm gegenüber aber eine relative Selbstständigkeit besitzt. Mangelndes Wissen verhindert nicht Geschichtsbewusstsein – im Gegenteil –, und opulente Kenntnisse verbürgen es noch nicht. Geschichtsbewusstsein ist folglich kein Speichermedium zur Anhäufung von historischem Wissen, sondern ein Sinnbildungsmodus […], der […] der Orientierung in der Temporalität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dient. Wenn Geschichtsbewusstsein vom Wissen abhängig wäre, müsste es durch Vergessen wieder verschwinden. Die lebensgeschichtliche Entstehung von Geschichtsbewusstsein ist in den Prozess des Spracherwerbs eingebunden. Es wird mit der Sprache erlernt und insofern bildet ein dreijähriges Kind bereits erste Strukturen der Geschichtlichkeit aus (z. B. Temporalund Wirklichkeitsbewusstsein). Problematisch in geschichtsdidaktischer Hinsicht ist der Wortbestandteil „Bewusstsein“ im Begriff. Ein Individuum besitzt auch dann Geschichtsbewusstsein […], wenn es sich dessen nicht bewusst ist und darüber keine Gedanken machen kann. Da nur Menschen denken, gibt es auch kein sich selbst refl ektierendes Geschichtsbewusstsein. Bis ins 20. Jahrhundert hinein (teilweise bis heute) wurde Geschichtsbewusstsein nicht als analytischer, sondern als ein normativer Begriff gebraucht, der inhaltlich vorschreibt, was und wie Schülerinnen und Schüler über Geschichte denken sollen. Er war im 19. und 20. Jahrhundert vor allem auf Kollektive (Nation, Volk, Rasse, „deutsches Volksschicksal“ [Heinrich Roth]) bezogen. Geschichtsbewusstsein galt als Kollektivbewusstsein, das vom Einzelnen ein bestimmtes Denken, Fühlen und Handeln erwartete. Die Schule hatte für die „Prägung des Geschichtsbewusstseins“ (Theodor Schieder) zu sorgen. Den heute gebräuchlichen – und geschichtsdidaktisch sinnvollen – Begriff des individuellen Geschichtsbewusstseins hätte das 19. Jahrhundert als widersprüchlich empfunden. Geschichtsunterricht hat heute die Aufgabe, Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihr eigenes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln und zu gesellschaftlichen Zumutungen Distanz zu erhalten. b) Geschichtskultur Geschichtskultur bezeichnet die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Vergangenheit und Geschichte umgeht. In ihr wird das Geschichtsbewusstsein der in dieser Gesellschaft Lebenden praktisch und äußert sich in den verschiedensten kulturellen Manifestationen (neben Geschichtsschreibung 5 10 15 20 25 30 35 40 45 i Aleida und Jan Assmann. Foto von 2012. 15Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur Nu r z u P üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |