2.2.3 „Volksgemeinschaft": Ideologie und inszenierte Lebenswirklichkeit im NS-Staat

Seite 175
Abbildung: Plakat von 1934

 Beurteilen Sie das Plakat. Inwiefern spiegelt sich darin der Charakter der Wahlen seit 1933?
Das Plakat visualisiert die angestrebte „Volksgemeinschaft“, die sich hinter ihrer Führerfigur zu einem geschlossenen Volkskörper vereinigt. Im Vordergrund steht Adolf Hitler in Herrscherpose, den Blick streng und entschlossen, die rechte Hand in die Hüfte gestemmt. Mit dem Text in roter Signalfarbe wird deutlich gemacht, dass bei der Wahl alle „Ja!“ sagen. Das ist keine Aufforderung, sondern eine Feststellung, die die Ereignisse vorwegnimmt.
Das Plakat spiegelt insofern den Charakter der Wahlen seit 1933 wider, als es nach dem schrittweisen Parteienverbot nur noch „Volksabstimmungen“ über die bestehende Regierung gab, bei denen man seine Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck bringen konnte. Die über 90 Prozent Ja-Stimmen, die in mehreren Volksabstimmungen erzielt wurden, kamen durch sozialen Druck auf den einzelnen Wähler zustande. Von freien, geheimen Wahlen konnte keine Rede mehr sein.

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Seite 176
Abbildung: „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“

Das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ sollte eine ähnliche Funktion für die Mütter erfüllen wie das Eiserne Kreuz für die Soldaten. Der Einsatz von „Leib und Leben“ bei der Geburt und der Erziehung der Kinder sollte mit einem „Ehrenplatz“ in der „Volksgemeinschaft“ anerkannt werden. Das Mutterkreuz wurde nur an reichsdeutsche Mütter verliehen, die einen „Ariernachweis“ vorlegen konnten und deren Kinder als „erbgesund“ galten.

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Seite 177
Abbildung: NS-Propaganda

Die Werbeplakate verweisen auf drei völlig unterschiedliche Bereiche, in denen sich das NS-Regime als fortschrittlich und modern darstellen wollte.
Sporttag des BDM, Plakat der Abteilung Presse und Propaganda, Bielefeld, um 1936.
Mädchen erhielten durch die NS-Jugendorganisation „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) neue Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Zwei Drittel der BDM-Arbeit galt dem Sport, der der Erziehung zu Disziplin und Leistungswillen dienen und das Ideal eines erbgesunden, kraftvollen und schönen Körpers vermitteln sollte. Daneben standen Heimnachmittage mit Spielen, Basteln und politischer Schulung auf dem Programm, ebenso hauswirtschaftliche Schulung, Wochenendfahrten und wohltätige Arbeit. Interessen und Bedürfnisse der Mädchen wurden vom BDM aufgenommen und mit der eigenen Ideologie verknüpft.
„Ganz Deutschland hört den Führer“, Werbeplakat, 1936.
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sah den Rundfunk als das modernste und wichtigste Massenmedium an und förderte diesen als wichtiges Propagandainstrument massiv. 1935/36 kam der Volksempfänger „VE 301“ auf den Markt. 1938 kamen auf 1.000 Einwohner 134 Rundfunkgeräte, mit wachsender Tendenz während des Zweiten Weltkrieges. Das Radioprogramm wurde bis ins kleinste Detail vom Propagandaministerium vorgeschrieben. Politik und Propaganda wurden mit Unterhaltung gemischt. Besonders im Krieg war der Rundfunk das beherrschende Medium, um die Bevölkerung von den Alltagssorgen abzulenken und ihren Durchhaltewillen zu stärken.
KDF-Wagen, Werbeplakat der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ für den Volkswagen, 1938.
Die „Motorisierung des deutschen Volkes“ war ein wichtiges Projekt Hitlers. Zunächst beauftragte der Reichsverband der Automobilindustrie (RDA) den Automobilbauer Ferdinand Porsche mit der Entwicklung eines Volkswagens, der höchstens 1.000 RM kosten sollte. Nach dem Ausstieg der Automobilindustrie begann die Deutsche Arbeitsfront (DAF) unter der Aufsicht von Robert Ley mit dem Bau der größten Automobilfabrik Europas in Wolfsburg. Ab 1938 konnten Interessenten Woche für Woche Sparmarken erwerben, bis die Kaufsumme von 990 RM erreicht war. 1940 hatten bereits 340.000 potenzielle Käufer über 280 Millionen RM angespart, doch es kam nie zu einer Massenproduktion. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges fehlten die Rohstoffe und Arbeitskräfte, stattdessen wurde in Wolfsburg Kriegsmaterial gefertigt.

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Seite 178
Abbildung: Werbeplakat des Winterhilfswerks von 1934/35

 Analysieren Sie, welche Assoziationen das Bild weckt und welche Rolle es dem Regime zuweist.
Im Zentrum des Plakates steht eine Frau mit einem kleinen Mädchen. Ihre Blicke wirken erschöpft und ernst. Die Frau trägt einen Umhang, den sie schützend und wärmend auch über die Schultern des Mädchens hält. Beide schauen nach vorne links aus dem Bild, von wo sich zwei Arme ihnen einladend entgegenstrecken. Aus dieser Quelle kommt auch das Licht, das die Gesichter erstrahlen lässt. Das Mädchen scheint völlig überwältigt, ihr Mund steht offen. Die Ausrufe „Keiner soll hungern!“, „Keiner soll frieren!“ unterstützen und ergänzen das Bild. Hier wird das Hilfsangebot des Winterhilfskraftwerks mit knappen Slogans konkretisiert.
Das Bild bedient sich christlicher Bildmotive. So erscheint die Frau mit dem Umhang wie eine Mariengestalt. Verstärkt wird die Wirkung durch den Lichtkranz hinter ihr. Auch die ausgestreckten Arme gehören zu diesem Repertoire. Das Regime tritt hier durch das Winterhilfswerk als Wohltäter für jeden bedürftigen Deutschen auf und scheint mit seinen „Verheißungen“ religionsähnliche Aufgaben zu übernehmen.

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Seite 180
M1: Die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“

1.Charakterisieren Sie Hitlers Vorstellung von der deutschen „Volksgemeinschaft“.
Hitler propagiert in diesen Auszügen die deutsche „Volksgemeinschaft“ als eine klassenlose Gesellschaft, eine soziale Einheit, die die Deutschen unabhängig von Status, Herkunft oder Konfession zu einer geschlossenen Gemeinschaft vereint. Verbunden sind die einzelnen Menschen durch das gemeinsame Blut und die 2.000-jährige Geschichte, in der man immer wieder sein Dasein erkämpft hätte. In dieser Gemeinschaft leben zu können, verspreche höchstes irdisches Glück und Stolz.
2.Erläutern Sie die Stellung des Individuums und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Einzelnen. Vergleichen Sie mit unserem heutigen Menschenbild und heutigen Rechtsvorstellungen.
Der Einzelne ist in dieser Auffassung der Gemeinschaft völlig untergeordnet. Gemessen am Volk sei das Individuum vergänglich und unbedeutend. So könne der Schutz des Volkes auch auf Kosten des Individuums durchgesetzt werden. In der Konsequenz sind die persönlichen Interessen und Rechte des Einzelnen gegenstandslos. Das Individuum muss sich zudem für die Gemeinschaft aufopfern, das heißt von sich aus alle seine persönlichen Interessen und Rechte aufgeben.
Dieses Menschenbild widerspricht dem Menschenbild seit der europäischen Aufklärung. In unserem heutigen Menschenbild steht das Individuum im Zentrum. Jeder Einzelne soll sich entfalten und nach seinem Glück streben können. Letztlich wird das Recht auf Freiheit nur begrenzt, wenn es Rechte anderer verletzt und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft gefährdet. Heute schützen die Grund- und Menschenrechte jeden Einzelnen vor einem willkürlichen Zugriff.
3.Zeigen Sie, welches Geschichtsbild Hitler zeichnet und zu welchem Zweck er dies tut.
Hitlers Geschichtsbild wird von sozialdarwinistischen Vorstellungen geprägt. Nur die stärksten Völker hätten demnach das Durchsetzungsvermögen und das Recht auf Lebensraum. Dabei beruft er sich auf die 2.000 Jahre alten deutschen Wurzeln in den germanischen Stammesgesellschaften. Diese hätten im Zentrum von Europa über Jahrhunderte gegen ihre Feinde gekämpft. Zum einen versucht er damit seine Theorie von der Blutsgemeinschaft zu bekräftigen, zum anderen die Stärke des deutschen Volkes zu beschwören. Im Jahr 1940 soll dieses Geschichtsbild die Kriegsbegeisterung und den Siegeswillen der Bevölkerung weiter befördern. Der Krieg sei ein existenzieller Kampf gegen den Rest der Welt, den man nur als echte „Volksgemeinschaft“ gewinnen könne.

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Seite 180
Abbildung: Der Bildhauer Deutschlands

Kladderadatsch“ war ein deutschsprachiges politischsatirisches Wochenblatt, das von 1848 bis 1944 erschien. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlor es jedoch nach und nach seine frühere Unangepasstheit und spiegelte immer stärker die konservativen Ansichten seiner gutsituierten Leser wider. In den 1920er-Jahren lobte das Magazin Adolf Hitler für seine patriotische Gesinnung, in den frühen 30er-Jahren unterstützte es die Politik Hitlers. Die Karikaturen wurden zunehmend antisemitisch.
 Analysieren Sie die Aussage der Karikatur. Bestimmen Sie den Standort des Zeichners.
Die Karikatur zeigt in vier Bildern Hitler als „Bilderhauer Deutschlands“. Die ersten zwei Bilder leben von dem Kontrast Hitlers zu der zweiten Person des Bildes, einem ängstlichen, intellektuell wirkenden Künstler, der jüdische Stereotype zeigt. Hitler tritt dagegen dominierend, kraftvoll und entschlossen auf, unter seinem weißen Kittel trägt er eine militärische Uniform. Der Künstler hat eine komplexe Menschengruppe geschaffen, zerstrittene einzelne Figuren, die mit geballten Fäusten übereinander herfallen. Hitler zerstört diese mit einem Faustschlag. Genauso wischt er offensichtlich den Künstler weg, denn dieser ist in den weiteren Zeichnungen nicht mehr zu sehen. Konzentriert und gekonnt macht sich Hitler nun ans Werk. Aus dem rohen Klumpen Ton formt er den neuen Menschen: kraftvoll, athletisch, dominant. Dieser Figurtypus entspricht der nationalsozialistischen Idealvorstellung eines arischen Mannes und findet sich in zahlreichen Kunstwerken der Zeit.
Die Unterschrift „Der Bildhauer Deutschlands“ verweist auf die Symbolik: Hitler schafft nicht nur den „neuen Menschen“, er begründet eine neue Gesellschaft. Die Gesellschaft der parlamentarischen Demokratie, die hier als eine Art „Kampf aller gegen alle“ dargestellt wird, wird im Führerstaat zu einem geschlossenen Volkskörper.
Der Zeichner nimmt eine zustimmende, fast bewundernde Haltung ein. Anstatt die gesellschaftliche Situation durch Übertreibung oder ironische Brechung kritisch zu analysieren und zu hinterfragen, wie es Karikaturen normalerweise machen, arbeitet der Zeichner durch die Kontraste die starke, schaffende Kraft Hitlers heraus.

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Seite 181
M2: „Massensuggestion“

 Arbeiten Sie heraus, welche Ziele das Regime mit den Massenveranstaltungen verfolgte. Nehmen Sie Stellung zu der beschriebenen Wirkungsabsicht. Vergleichen Sie mit den Abbildungen unten.
Die nationalsozialistischen Massenveranstaltungen schufen Erlebnisräume, in denen der Einzelne überwältigt und mitgerissen werden sollte. Der Einzelne sollte regelrecht in der Masse aufgehen, zum Glied der Gemeinschaft werden, egal wie er vorher über das Regime dachte, und sich als solches anschließend stark und „innerlich gefestigt“ (Zeile 17f.) fühlen. Dieses gewaltige Gemeinschaftsgefühl manipulierte den Menschen in seinem Fühlen, Denken und Handeln und kam letztlich einer Gehirnwäsche gleich, da die ideologischen Inhalte fast unbemerkt über die enormen Sinnes- und Gefühlseindrücke transportiert wurden. Die Massenveranstaltungen dienten also der ideologischen „Schulung“ der Bevölkerung und der Machtdemonstration.
Die Reichsparteitage in Nürnberg bildeten den Höhepunkt des Feierjahres und gehörten zu den größten, völlig durchkomponierten Massenveranstaltungen des Reiches. Hier wurden „Führerkult“ und „Volksgemeinschaft“ durch disziplinierte, geometrisch gleichförmig gestaltete Massenparaden mit Fahnen und Uniformen, durch die Architektur des Geländes und Lichteffekte sowie durch die optische und propagandistische Ausrichtung auf den Führer, dem die Massen die „Ehre“ erwiesen, inszeniert. Auch hier ging es im Kern darum, das Aufgehen des Einzelnen in der „Volksgemeinschaft“ unmittelbar erfahrbar zu machen und so seine Zustimmung zum Regime zu stärken.

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Seite 181
Abbildungen: Reichsparteitag 1936 in Nürnberg und Der nächtliche Appell der Politischen Leiter beim „Reichsparteitag der Ehre“ auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg

Filmdokumente:
  • „Triumph des Willens“, Leni Riefenstahl 1934
  • „Glaube und Schönheit“, Hans Ertl 1938

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Seite 182
Abbildung: Plakat zum Dokumentarfilm der Olympischen Spiele in Berlin 1936 von Leni Riefenstahl

 Recherchieren Sie im Internet oder in Lexika über Leni Riefenstahl und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus. Nehmen Sie Stellung zum Verhältnis von Kunst und Politik im NS-Staat.
Leni Riefenstahl wurde am 22. August 1902 in Berlin geboren. Sie war Schauspielerin, Tänzerin und Filmregisseurin. Zwischen 1932 und 1945 drehte Riefenstahl im Auftrag der NS-Führung mehrere Propaganda-Filme, unter anderem „Sieg des Glaubens“ und „Triumph des Willens“ über die Reichsparteitage 1933 und 1934 in Nürnberg sowie die beiden Filme „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ über die Olympischen Spiele in München 1936.
Mit ihren Filmen wollte Riefenstahl die Reichsparteitage und die Olympischen Spiele nicht dokumentieren, sondern „noch schöner als in Wirklichkeit“ darstellen. Sie stilisierte sie als mythisches Ereignis und hob in besonderem Maße die Rituale der Massenveranstaltung (jubelnde Massen, Fackelmeer, Fahnenzug, Aufmärsche vor der Führertribüne etc.) hervor, die den „Führerkult“ und die „Volksgemeinschaft“ transportierten. Damit schuf sie eine „Ästhetik des Nationalsozialismus“ und ein wirksames Propagandamittel der NS-Diktatur.
Durch ihre Filme gewann sie nationale, aber auch internationale Anerkennung, die ihr in der Fachwelt bis heute zuteil wird.
Die Propagandafilme, ihr enges freundschaftliches Verhältnis zu Hitler und anderen NS-Größen sowie die Tatsache, dass Riefenstahl von der NS-Führung beauftragt, gefördert und als Aushängeschild des „Dritten Reiches“ gefeiert wurde, brachte ihr den Vorwurf der Kumpanei mit dem NS-Regime ein. Zudem gestand Riefenstahl, eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen zu sein.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war auch Riefenstahls Karriere als Filmemacherin beendet. Sie wurde zwar als „Mitläuferin“ eingestuft, ihre besondere Rolle im „Dritten Reich“ blieb jedoch – trotz ihrer anschließenden Karriere als Fotografin – als Makel an ihr haften.
Die Kunst – dazu gehören Literatur, Musik und bildende Kunst genauso wie Theater, Film und Unterhaltung – spielte eine große Rolle im NS-Staat. Sie war Mittel zur Verbreitung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie und zur Inszenierung von „Führerkult“ und „Volksgemeinschaft“. Weil sich der Staat der Wirkungsmacht von Kunst und Kultur bewusst war, schuf er sich bereits im September 1933 ein Instrument zur Kontrolle: Alle in freien oder künstlerischen Berufen tätigen Personen wie Schriftsteller, Journalisten, Musiker, Schauspieler, Filmregisseure, Maler, Architekten und Bildhauer mussten Mitglieder der NSDAP werden. Juden und Künstler, die für kommunistische, liberale, demokratische und pazifistische Ziele eintraten, wurden ausgeschlossen und erhielten damit praktisch Berufsverbot. Die „Reichskulturkammer“ wachte darüber, dass nur erwünschte „Kunst“ verbreitet wurde. Dazu gehörte etwa eine völkische und geschichtsmythische Dichtung, die fast ausschließlich durch die „Blut und Boden“-Ideologie bestimmt war und Führer und Gefolgschaft, die Scholle, das Bauerntum, den „Segen des reinen Blutes“, den mütterlichen Schoß und Manneszucht besang. Sogenannte „Lehrfilme“, die Deutsche Wochenschau und antisemitische Hetzfilme (zum Beispiel „Jud Süß“, „Der ewige Jude“) sorgten für die aggressive Aufputschung der Bevölkerung.
Viele Werke der neueren Literatur, der modernen Musik (zum Beispiel Jazz, Zwölftonmusik) sowie der zeitgenössischen Bildhauerkunst erklärte das Regime zu „Ausgeburten des Wahnsinns“ und wurden als „entartete Kunst“ verboten und verunglimpft. Nachdem die Nazis bereits 1933 Bücher verbrannt hatten, vernichteten sie nach Erlass eines Gesetzes zur Einziehung „entarteter“ Kunst etwa 4.000 Bilder verfemter Künstler. Viele Künstler flohen ins Exil oder begaben sich in die innere Emigration.

Seite 182
M3: Wie erfolgreich war die Propaganda?

1.Erörtern Sie, warum die NS-Propaganda nach Wendt nur zum Teil erfolgreich war. Beziehen Sie M3 auf Seite 173 in Ihre Überlegungen ein.
Propaganda kann noch so perfekt geplant und umgesetzt werden, immer spielen auch der Empfänger und sein persönlicher Kontext eine Rolle. Politische Einstellung, Schichtzugehörigkeit, Bildungsgrad und der Wohnort entscheiden darüber, ob und wie stark Propaganda beim Einzelnen wirken kann. Besonders erfolgreich war die Propaganda dort, wo sie auf greifbare und erfahrbare Vorteile für den Einzelnen verweisen konnte. Hier wirkten ähnliche Mechanismen wie bei der Durchsetzung der Gleichschaltung, nur unter anderen Vorzeichen: Je größer der Eifer, desto größer die Aussicht auf Vorteile oder schlicht die Sicherung der Existenz (siehe hierzu im Schülerband M3, Seite 173, Zeile 33ff.).
Die NS-Propaganda konnte die erlebte Realität jedoch nur begrenzt umdeuten. Wer täglich für Lebensmittelzuteilungen anstehen muss, kann schwer davon überzeugt werden, dass unter nationalsozialistischer Führung alles besser geworden ist. Gerade auch die starke Einseitigkeit der Propaganda und die Manipulation von Informationen können relativ leicht durchschaut und einzelne „Tatsachen“ widerlegt werden. Dann bricht die ganze Konstruktion zusammen und damit schwindet auch die Glaubwürdigkeit des Regimes.
2.Nehmen Sie Stellung: Sind wir heute weniger anfällig für Propaganda als die Menschen in der NS-Zeit?
Wir sind heute sicher etwas resistenter gegen Propaganda, da wir tendenziell freien Zugang zu vielen Informationen und Meinungen haben. So kann jeder für sich die verschiedenen Positionen abgleichen, Fakten überprüfen etc. Das setzt aber die Bereitschaft dazu voraus. Zwar ist unsere Wahrnehmung heute durch das Wissen über totalitäre Regime und ihre Manipulationstechniken stärker geschärft. Dennoch besitzen bestimmte Massenmedien heute, sicher stärker als die Politik, durchaus die Macht, Meinungen in der Bevölkerung zu bestimmen und damit auch zu manipulieren. Manche Schlagzeilen der Boulevardpresse sind beispielsweise so suggestiv formuliert und Informationen derart einseitig aufbereitet, dass dem Leser eine bestimmte Meinung nahe gelegt wird. Auch Werbeagenturen und Parteien nutzen beispielsweise psychologische Erkenntnisse, um ihre Botschaften möglichst effektiv zu gestalten.

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Seite 183
Abbildung: Propagandaplakat von 1934

1.Analysieren Sie, inwiefern das Plakat der nationalsozialistischen Gesellschaftsideologie entspricht.
Das Plakat zeigt einen SA-Mann, der gemeinsam mit einem traditionell wirkenden Bayern eine Art Maibaum aufrichtet. Dieser trägt in Schriftzügen verschiedene Aufgaben, die der NS-Volkswohlfahrt unterstellt waren: Volksgesundheit, Kinderschutz, Bettelbekämpfung, Wandererfürsorge, Volksgemeinschaft und Mutterschutz. Diese Begriffe spielen in der nationalsozialistischen Gesellschaftsideologie eine wichtige Rolle. Sie alle tragen zum Aufbau einer gesunden, solidarischen und klassenlosen Gesellschaft, also der „Volksgemeinschaft“, bei, in der jeder für den anderen eintritt. Dass diese Gesellschaft von Partei und Volk gemeinsam getragen wird, symbolisieren die beiden Figuren, die zusammenarbeiten.
2.Erörtern Sie, warum die Nationalsozialisten in besonderem Maße sozialpolitische Maßnahmen propagierten.
Die sozialpolitischen Maßnahmen versprachen der breiten Masse eine Verbesserung ihrer Verhältnisse. Gerade Erfolge in diesen Bereichen nahmen die Menschen für das Regime ein und vermieden soziale Unruhen. Dieses subjektive Gefühl besserer Verhältnisse, die man Adolf Hitler zu verdanken habe, hielt lange an, teilweise auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch die Maßnahmen dienten auch der Sozialkontrolle und gingen oftmals auf Kosten der persönlichen und politischen Freiheiten.

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Seite 184
M4: Der NS-Staat als „sozialer Volksstaat“?

1.Einer der Leitsätze Hitlers lautete: „Deutschland wird dann am größten sein, wenn seine ärmsten seine treuesten Bürger sind.“ Erläutern Sie Hintergründe und Ziele dieser Maxime. Berücksichtigen Sie, welche „Fehler“ Hitler im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik vermeiden wollte.
Der Leitsatz verweist einerseits darauf, dass Menschen in Not demjenigen besonders dankbar sind, der ihre Situation verbessert, und andererseits, dass die nationalsozialistische Gesellschaft von einer Massenbewegung getragen werden soll. Den Hintergrund dieser Maxime bilden die Kriegspläne Hitlers. Er wusste, dass er einen erfolgreichen Krieg nur mit einer langfristig „treuen“ und opferungsbereiten Bevölkerung führen konnte. Gleichzeitig nimmt er so die „ärmsten Bürger“ für die Größe Deutschlands in die Pflicht, weist ihnen aber auch eine herausragende Bedeutung zu.
Die Nationalsozialisten zogen damit ihre Lehren aus dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik. Sie wollten Hunger, Existenzängste und Armut bei der Mehrheit der Gesellschaft vermeiden, da diese zum Zusammenbrechen der „Heimatfront“ im Krieg geführt und die Identifikation mit dem Staat dauerhaft verhindert haben.
2.Einer der Leitsätze Hitlers lautete: „Deutschland wird dann am größten sein, wenn seine ärmsten seine treuesten Bürger sind.“ Erläutern Sie Hintergründe und Ziele dieser Maxime. Berücksichtigen Sie, welche „Fehler“ Hitler im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik vermeiden wollte.
In einem Sozialstaat soll durch staatliches Handeln soziale Gerechtigkeit und Sicherheit hergestellt werden. Ein Existenzminimum für alle sowie ein Ausgleich der ökonomischen Ungleichverteilung und der sozialen Gegensätze sind grundlegende Ziele der Sozialpolitik. Auf diese Weise soll auch die Teilnahme Aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ermöglicht werden. Die nationalsozialistische Sozialpolitik knüpfte inhaltlich an die Errungenschaften der Weimarer Republik an und setzte weitere Reformen durch. Allerdings darf man bei der Bewertung nicht übersehen, dass diese Sozialpolitik eben nicht auf alle Bürger ausgerichtet war. Vielmehr wurde sie zu einem Instrument der Selektion. Wer sich verweigerte, wer den rassischen und ideologischen, politischen oder moralischen Vorstellungen nicht genügte, wurde ausgeschlossen und verfolgt. Zu ihnen zählen die Juden, Sinti und Roma, politische Gegner und Andersdenkende, Homosexuelle, Zeugen Jehowas sowie sogenannte „Asoziale“. Die Mehrheit der Deutschen profitierte von den Maßnahmen, so zum Beispiel vom Rentensystem, vom Kindergeld, vom Mieterschutz, vom Schuldnerschutz usw. Viele sahen nicht, dass sich der nationalsozialistische Staat wesentlich auf Selektion, Raub, Mord und Krieg gründete, denn finanziert wurde der Sozialstaat unter anderem durch die Enteignungen der Verfolgten und Plünderungen der besetzten Länder im Zweiten Weltkrieg.
3.Aly bezeichnet das NS-Regime als „Gefälligkeitsdiktatur“. Setzen Sie sich mit diesem Begriff kritisch auseinander.
Der Begriff zeigt den symbiotischen Zusammenhang zwischen dem Volksstaat und den Verbrechen des Regimes, zwischen den attraktiven und den kriminellen Elementen des Nationalsozialismus. Durch die wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen der Lebensverhältnisse ließen die Menschen zu, dass sie politisch entmündigt wurden. Sie sahen über die Verbrechen des Regimes hinweg und stützten es bis zuletzt.

Seite 184
M5: Stimmungsberichte

1.Fassen Sie zusammen, wie der Landrat die Volksstimmung beurteilt. Welche Ursachen sieht er für die Entwicklung?
Die Volksstimmung wird in diesem Lagebericht nicht als negativ bezeichnet, doch von einer bejahenden Einstellung und der Verinnerlichung des nationalsozialistischen Gedankenguts kann ebenfalls nicht die Rede sein. Die Anhängerschaft des Regimes stagniere, bei der Mehrheit mache sich Abstumpfung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Staat bemerkbar.
Gründe für diese Entwicklung sieht Rademacher zum einen in einer gewissen Ermüdung gegenüber den verschiedenen Propagandaformen und Veranstaltungen. Zum anderen steige die Unzufriedenheit bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, so bei der katholischen Bevölkerung, den Handwerkern, den Mitgliedern des Stahlhelms, den Arbeitern und den Bauern als Reaktion auf bestimmte Maßnahmen oder die allgemeine Lage. Als dritte Ursache führt er an, dass die Menschen die großen Nöte vor 1933 bereits wieder vergessen hätten.
2.Bewerten Sie den Unterschied zwischen dieser Schilderung und dem Bild, das in der Propaganda gezeichnet wurde.
Die Beschreibung der Volksstimmung durch den Landrat wirkt kritischer, differenzierter und realistischer als das allgemeine Bild, das in der Propaganda gezeichnet wurde. Hier sollte ausschließlich die Geschlossenheit der „Volksgemeinschaft“ vorgeführt werden. Selbst die Benennung von „Volksfeinden“ diente mehr der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls als dem Abwenden einer wirklichen Bedrohung.
3.Überlegen Sie, wie die Regierung auf solche Lageberichte reagieren konnte.
Diese Berichte konnten dem Regime helfen, ihre Propagandamaßnahmen flexibel auf die Verhältnisse vor Ort anzupassen. Die Gestaltung der Veranstaltungen konnte besser auf die jeweiligen Adressaten (Stadt- oder Landbevölkerung, Arbeiter oder Bürger) zugeschnitten werden, auch das Radioprogramm konnte angepasst werden. Insgesamt empfiehlt es sich bei einem solchen Lagebericht, die politische Propaganda durch mehr Unterhaltung und Musik besser einzubetten. Die Unzufriedenheit einzelner Gruppen kann dagegen leichter mit gezielten Zugeständnissen abgebaut werden.
4.Analysieren Sie, was der Bericht über das Denken und Handeln der Bevölkerung und über den Berichterstatter aussagt.
Die Bevölkerung scheint hier zwar nicht mehr völlig hinter dem Regime zu stehen, doch die Ursachen dafür liegen weniger in der kritischen Auseinandersetzung mit der Politik, sondern vor allem in egoistischen Motiven. Zu Handlungen gegen das Regime scheint keiner bereit zu sein, vielmehr machen sich eine gewisse Gleichgültigkeit und politisches Desinteresse breit. Der Berichterstatter nimmt gegenüber der Bevölkerung fast die Funktion eines Spions ein. Er ist nicht einer von ihnen, sondern fühlt sich dem Regime verpflichtet. Dennoch scheint er wenig eigene Entscheidungsmöglichkeiten zu haben und wirkt sowohl in seinem Denken als auch in seinem Handeln mehr wie ein Handlanger der Regierung.

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