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Das allgemeine Vergessen Die Spuren der Abgebildeten verlieren sich – und dennoch scheint es, als wollte Boltanski mit seiner Installation diese Menschen dem Vergessen entreißen. Vergänglichkeit und Erinnerung sind die großen Themen, mit denen sich der Künstler in seinen überwiegend raumgreifenden Installationen beschäftigt. Boltanskis Kindheit wurde durch seinen ukrainisch-jüdischen Vater geprägt, der die Erinnerung an den Holocaust aufrechterhielt. Sein Frühwerk zeigt die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Sterblichkeit. Die Installation „Geister“ bringt hingegen den kollektiven Verfall und das allgemeine Vergessen, den elementaren Lauf der Dinge zum Ausdruck. So, wie die Personen aus den Fotoalben, die offensichtlich für niemanden mehr eine Bedeutung hatten, aus den Gedächtnissen der Lebenden verschwunden sind, wird auch diese Installation wahrscheinlich irgendwann nicht mehr vorhanden sein. Für seine Erinnerungs-Installationen greift Boltanski häufi g auf abgelegte persönliche Gegenstände zurück, die er auf Flohmärkten fi ndet. Inwieweit diese die Identität einer bestimmten Person widerspiegeln oder zu erkennen geben, ist die Frage, die der Betrachter selbst beantworten muss. Auf der Suche nach einer Antwort wird er auf seine eigene Existenz zurückgeführt: Was ist es, was den Menschen ausmacht? Was bleibt an Individuellem und Materiellem übrig im Bemühen gegen das Vergessen-Werden? Und allgemein gefragt: Wie entsteht und vergeht Erinnerung überhaupt? Und welche Rolle spielen dabei Bilder? Exkurs: Spurensuche Mit der Spurensicherung, oder auch Spurensuche genannt, wird eine künstlerische Position innerhalb der Konzeptkunst* bezeichnet, die in den 1970er-Jahren gleich von mehreren Künstlern geprägt wurde. Wie in der Kriminalistik, aus der der Begriff abgeleitet wurde, stellt die Spurensicherung eine künstlerische Form dar, in der die Künstler Recherchen zu bestimmten Themenkomplexen anstellen. Ihre Forschungsergebnisse präsentieren sie anschließend in Form von archivarisch angelegten Objektsammlungen, in denen es häufi g um den Umgang mit Geschichte und Erinnerung geht. Dabei kann deren Konstruktion und Rekons truktion real oder fi ktiv sein. Christian Boltanski, der als Hauptvertreter dieser Kunstpraxis gilt, machte die Erinnerungskultur zum eigentlichen Thema seiner Installationen. Er dokumentierte seine persönliche Identitätssuche anhand autobiografi scher Fotografi en und rekonstruiert mit gesammelten Requisiten (alte Kleidungsstücke, Fotografi en, Spielzeug etc.) auch fi ktive Schicksal und Identitäten (s. z. B. Abb. 1). Verweisen diese fragmentarischen Biografi en auf das Entstehen und Vergehen des Menschen, so konfrontiert auch der Künstler Nikolaus Lang (s. Abb. 2, S. 274) den Betrachter mit historischen Spuren, die ihn zu den Ursprüngen bestimmter Naturräume oder Lebenssituationen führen. Sein Sammeln und Ausstellen von Relikten aus vergangenen Zeiten bekundet sein Interesse an Kultur, Natur und sozialem Wandel. In den Werken dieser Konzeptkünstler sind die recherchierten Spuren stets Zeugen, die den Betrachter zur Refl exion über die Vergangenheit und Gegenwart einladen. Das Bewahren von Gewesenem setzt stets auch Assoziationen und Erwartungen im Betrachter frei. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es die Künstler sind, die die Spuren auch legen. N u r zu P rü fz w e c k e n E ig tu m d e C .C .B u c h n e r V e rl a g s | |
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