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134 Die „Deutsche Frage“ im 19. Jahrhundert Die revolutionäre Idee der Nation und die Vorstellungen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit wirkten im 19. Jahrhundert weit über Frankreich hinaus. In ihrem Namen wurden absolute Monarchie und Ständegesellschaft infrage gestellt und insbesondere die Verwirklichung von Volkssouveränität, Menschenrechten und Gewaltenteilung sowie die Gleichheit vor dem Gesetz gefordert. Der Gedanke der Kulturund Sprachnation Die „Ideen von 1789“ erfassten auch die deutschen Staaten. Napoleon* eroberte die linksrheinischen Gebiete des Heiligen Römischen Reiches. Darauf folgte eine gewaltige „Flurbereinigung“. Die Zahl der selbstständigen politischen Einheiten war von rund 1 790 auf etwa vierzig reduziert worden. Kleine Ritterstände und geistlicher Grundbesitz gingen 1803 in größere Fürstentümer auf. Viele deutsche Staaten und insbesondere Preußen modernisierten ihre staatliche und gesellschaftliche Ordnung nach französischem Vorbild und beendeten die Ständegesellschaft durch eine Revolution „von oben“. Eine Bildungs-, Verwaltungsund Heeresreform diente Preußen dazu, bald wieder zum Kreis der Großmächte zu gehören. Diese Reformen schwächten die Stellung des Adels und stärkten das Bürgertum. 1806 ging aber auch das Heilige Römische Reich unter, nachdem sich einige süddeutsche Fürsten Napoleon anschlossen. Für die Schaffung eines deutschen Nationalstaates stand unter diesen Voraussetzungen nicht das Modell der Staatsnation Pate – anders als 1789 in Frankreich, wo sich die Nation innerhalb des Herrschaftsgebietes eines Monarchen bildete. Stattdessen griff man auf die Idee der Kulturnation zurück und knüpfte damit an Überzeugungen aus dem 18. Jahrhundert an. Damals hatte sich unter bürgerlichen Beamten, Kaufl euten und Literaten das Bewusstsein herausgebildet, über alle Grenzen der Reichsterritorien hinweg als Nation zusammenzugehören. In Literatur, Kunst und Musik wurde nach 1806 die deutsche Vergangenheit romantisch verklärt und gemeinsame Sprache und Kultur zur Grundlage der Nation und eines erhofften Nationalstaates erhoben. Während der Kriege gegen die napoleonische Herrschaft und nach dem Sieg der Völkerschlacht bei Leipzig wurde der Vaterlandsgedanke unter Studenten und Professoren populär (u M2). Kein deutscher Nationalstaat Nach dem Sieg gegen Napoleon unterdrückten die Regierungen der deutschen Einzelstaaten alle nationalen Bestrebungen. Angeführt wurden sie dabei vom österreichischen Fürsten Klemens von Metternich. Die Monarchen wollten ihre Macht weder mit einer Volksvertretung teilen, noch wollten sie Teile ihrer Souveränität an einen deutschen Gesamtstaat abgeben. Doch auch sie konnten nicht zurück zum Alten Reich. Stattdessen wurde auf dem Wiener Kongress 1815 der Deutsche Bund** gegründet (u M3). In diesem Staatenbund behielten die Mitgliedstaaten ihre Souveränität. Der Deutsche Bund besaß weder ein Staatsoberhaupt noch eine Regierung oder eine Volksvertretung. Die einzige gemeinsame Institution bildete der Bundestag – ein ständiger Gesandtenkongress der Einzelstaaten mit Sitz in Frankfurt am Main. Den Vorsitz hatte Österreich inne. * Zu Napoleon siehe S. 426 ff. ** Zum Deutschen Bund siehe auch S. 439 441. i„Reden an die deutsche Nation“ von Johann Gottlieb Fichte und „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim. Fichte war einer der bedeutendsten Propagandisten des deutschen Nationalbewusstseins. Mit seinen „Reden an die deutsche Nation“ von 1808 forderte er die Nationalerziehung als Grundlage eines aus gleichberechtigten Bürgern bestehenden deutschen Nationalstaates. Die von den bedeutendsten Dichtern der Romantik, Brentano und Arnim, zwischen 1806 und 1808 veröffentlichte dreibändige Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ gehört zu einer großen Reihe von in dieser Zeit verbreiteten Volksliedern, Märchen, Legenden und Sagen, die über die kulturelle Tradition eine politische und geistige Einheit der Deutschen stiften sollten. 4677_1_1_2015_128-157_Kap4.indd 134 17.07.15 12:02 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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