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132 Die „Deutsche Frage“ im 19. Jahrhundert Die Idee der Nation in Europa seit der Französischen Revolution Die Nation – ein Begriff, viele Vorstellungen Den Begriff „Natio nen“ gab es schon lange vor der Entstehung moderner Nationalstaaten. In den mittelalterlichen Quellen bezeichnet er eine Gemeinschaft, zu der jemand durch Geburt gehört (lat. natus: gebürtig) und deren Sprache er spricht. Auch in politischer Bedeutung wurde der Begriff in der Vormoderne gebraucht. Dann bezeichnete er jedoch nicht das „Volk“, sondern die gegenüber dem Monarchen politisch handelnden Gruppen, also die Stände. Damit waren die früheren Staatsgebilde wie das seit dem späten 15. Jahrhundert so bezeichnete Heilige Römische Reich Deutscher Nation politische Organisationsformen der Ständegesellschaft. Solche Organisationsformen unterscheiden sich wesentlich von modernen Nationalstaaten, da diese überhaupt erst aus dem Gegensatz zur ständischen Gesellschaftsordnung entstanden. Die Verwendung des Begriffes „Nationalstaat“ für vormoderne Epochen ist daher in der Geschichtswissenschaft umstritten. Typen der europäischen Nationsbildung Moderne Nationen existieren, wenn ihre Angehörigen sich als Gemeinschaft verstehen können, obwohl sie sich untereinander nicht kennen. Der Politikwissenschaftler Benedict Anderson bezeichnet Nationen deshalb als „vorgestellte politische Gemeinschaften“. Doch wie entstanden moderne Nationalstaaten? Ein Modell des Historikers Theodor Schieder versucht, diese Frage zu beantworten. Er benennt drei Grundtypen der Bildung europäischer Nationalstaaten. • Vor dem 19. Jahrhundert entstand in England und Frankreich die moderne Nation aufgrund einer innerstaatlichen Revolution. Das Staatsgebiet sowie das Staatsvolk blieben gleich, doch die Staatsform wurde verändert. • Der zweite Typ betrifft insbesondere Deutschland und Italien. Diese Nationen wurden durch Vereinigung getrennter Staaten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründet. Die Nationalbewegungen beriefen sich dabei auf eine gemeinsame Kultur und Sprache. • Drittens entstanden Nationen durch Absatzbewegungen (Sezession) innerhalb von Vielvölkerstaaten. Diese Sezessionen fanden vor allem in Mittelund Osteuropa statt. Ethnische Minderheiten in Vielvölkerstaaten wie die Slawen im Habsburgerreich, die Polen im Russischen Reich oder die Griechen im Osmanischen Reich erkannten sich zunehmend als unterdrückt. Sie verstanden sich als Nation und forderten deshalb die Gründung unabhängiger Nationalstaaten. Diese Grundtypen der Entstehung von Nationalstaaten überlagerten sich in der Realität jedoch vielfach. Ein Beispiel ist Polen. Es wurde Ende des 18. Jahrhunderts zwischen Österreich, Preußen und Russland fast vollständig aufgeteilt. Die polnische Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wollte die polnischen Gebiete wieder zusammenführen und musste dazu die Aufteilung rückgängig machen. Dies gelang nach dem Ersten Weltkrieg. Im November 1918 wurde ein unabhängiger polnischer Nationalstaat gegründet. i „Italia und Germania.“ Gemälde (94,5 x 104,7 cm) von Friedrich Overbeck, 1828. Symbolhafte Darstellung von Italien und Deutschland. Beide Gebiete waren 1828 in mehrere Fürstentümer zersplittert. Literaturtipp: Hans-Ulrich Wehler, Nationalismus: Geschichte, Formen, Folgen, München 42011 4677_1_1_2015_128-157_Kap4.indd 132 17.07.15 12:02 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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