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Das Ende der Antike: die Verwandlung der Mittelmeerwelt 89 Gebräuchen und Sprache abweichen, ja sogar schon, wenn ich so sagen darf, durch den üblen Geruch der Leiber und Barbarenkleider sich abgestoßen fühlen, wollen sie doch lieber bei den Barbaren unter der ungewohnten Lebenshaltung leiden als bei den Römern unter wütender Ungerechtigkeit. Deshalb wandern sie scharenweise entweder zu den Goten [...] oder zu anderen Barbaren, die ja allenthalben herrschen; und es reut sie nicht, hinübergewandert zu sein. Denn lieber leben sie unter dem Schein der Gefangenschaft frei als unter dem Schein der Freiheit als Gefangene. [...] Deshalb ist es der einzige Wunsch aller dort lebenden Römer, niemals mehr unter die Botmäßigkeit der Römer kommen zu müssen. [...] Deshalb wollen unsere Brüder nicht nur nicht von ihnen zu uns zurückkommen, sondern sie verlassen uns, um zu ihnen zu fliehen. Und ich für meinen Teil kann mich nur wundern, dass nicht überhaupt alle dürftigen und armen Steuerzahler es so machen. Es gibt dafür nur einen Hinderungsgrund, nämlich den, dass sie ihre geringe Habe und ihre Hütten und ihre Familien nicht hinüberbringen können. [...] Das Volk der Goten ist treulos, aber züchtig; die Alanen sind unzüchtig, aber weniger treulos; die Franken sind lügnerisch, aber gastfreundlich, die Sachsen sind wild und grausam, aber von bewundernswerter Keuschheit; alle Völker haben, kurz gesagt, zwar ihre besonderen Fehler, aber auch einige gute Eigenschaften. [...] Was für eine Hoffnung, frage ich, kann der römische Staat noch haben, wenn die Barbaren keuscher und reiner sind als die Römer? [...] Unsere lasterhaften Sitten allein haben uns besiegt. Salvian von Marseille, Von der Weltregierung Gottes, 5, 4 ff., 7, 15 und 7, 23, nach: Walter Arend (Bearb.), a.a.O., S. 803 f. 1. Erklären Sie, warum viele Römer unter der Herrschaft der Germanen zu leben bereit sind. 2. Im Text heißt es: „Was für eine Hoffnung [...] kann der römische Staat noch haben, wenn die Barbaren keuscher und reiner sind als die Römer?“ Wie beurteilen Sie diese Aussage? 15 20 25 30 35 40 45 5 10 15 20 25 30 1) Theoderich hatte einige Jahre am Kaiserhof in Konstantinopel verbracht und 484 als Konsul für das Ostreich amtiert. M5 Das Verhältnis des Ostgotenkönigs Theoderich zum oströmischen Kaiser Im Auftrag des oströmischen Kaisers Zenon (474– 491) zogen die Ostgoten nach Italien und übernahmen dort 493 die Herrschaft. Als es einige Jahre später zu Konflikten zwischen den Ostgoten und dem Kaiser kommt, schreibt der römische Senator Cassiodorus im Auftrag des Ostgotenkönigs Theoderich einen Brief an Zenons Nachfolger Anastasios (siehe M12, Seite 40). Darin macht Theoderich deutlich, wie er seine Stellung und sein Verhältnis zum Kaiser in Konstantinopel sieht. Wir müssen, huldvollster Kaiser, den Frieden suchen, da wir anerkanntermaßen keinen Anlass zu zürnen haben. [...] Eure Macht und Ehre, frömmster Fürst, verpflichtet uns, vollkommene Einhelligkeit mit Euch zu suchen, durch dessen Liebe wir bis jetzt und ferner vorankommen. Ihr seid ja die herrlichste Zierde aller Reiche, Ihr [seid] der Heil bringende Schutz der ganzen Welt; mit Recht blicken zu Euch alle übrigen Fürsten auf, weil sie in Euch etwas ganz Einzigartiges erkennen, am meisten aber wir, die wir mit Gottes Hilfe in Eurem Staate gelernt haben, wie wir in Recht und Gerechtigkeit unsere Herrschaft über die Römer führen können.1) Unsere Regierung will nur eine Nachahmung der Euren sein, die Gestaltung eines guten Vorsatzes, das Abbild des einen Reiches. Wie sehr wir Euch darin nachfolgen, um so viel sind wir den andern Völkern voraus. Ihr ermahnt mich unablässig, den Senat zu lieben, die Gesetze, welche die Kaiser gegeben haben, mit Freuden mir zu eigen zu machen, allen Teilen Italiens Ruhe zu bringen. Wie könnt Ihr den vom Frieden mit dem Kaiser trennen, von dem Ihr die innigste Übereinstimmung mit Eurem eigenen Wesen wünscht? [...] Denn Ihr könnt nach unserer Meinung nicht dulden, dass zwischen den beiden Staaten, die unter den früheren Kaisern immer als ein Körper betrachtet wurden, irgendeine Unstimmigkeit fortdaure. Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C .B uc n r V er la gs | |
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