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127Mit Material arbeiten M1 „Täuschen wir uns nicht“ Der 1834 geborene Historiker und Politiker Heinrich von Treitschke schreibt im November 1879 in einem Beitrag für die „Preußischen Jahrbücher“: Über unsere Ostgrenze [...] dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar streb samer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dies fremde Volkstum mit dem unseren verschmelzen können. [...] Täuschen wir uns nicht: Die Bewegung ist sehr tief und stark […]. Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirch licher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuts mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: Die Juden sind unser Unglück! Karsten Krieger (Bearb.), Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879-1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition, Teil 1, München 2004, S. 11 u. 14 5 10 15 M3 „Ferientage am deutschen Meer – im Nordseebad Borkum“ In der „Borkumer Zeitung“ vom 7. Juli 1897 schreibt ein Emanuel Stockhausen in der Rubrik „Eingesandt“: Sehr geehrter Herr Redakteur! Verzeihen Sie, wenn ich mich in einer Angelegenheit an Sie wende, die, wie ich meinen sollte, allen rechtlich denkenden Badegästen auf Borkum gewiss schon aufgefallen ist. Es wird auf dem Festlande als ein großer Vorzug dieses wirklich an sich schon prächtigen Bades gepriesen, dass man hier keine Juden trifft. Drin möge Jedem seine Neigung oder Abneigung gelassen werden. Aber dass man auf Borkum fast nirgends hinkommen kann, ohne mindestens – hässlich Worte gegen das auserwählte Volk lesen zu müssen, das finde ich empörend und des Christen gewiss nicht würdig. Hoffentlich haben diese Zeilen die Wirkung, dass unsere Christen etwas duldsamer werden und nicht den Juden, wenn sie solche Beschimpfungen lesen müssen – sind doch selbst unsere Badekarren nicht davon verschont – Anlass geben, an ein Sprichwort zu denken, dass von … Händen und Tisch und Wänden spricht! Der […] Kurdirektion unseren Dank, wenn sie die unwürdigen Verzierungen zu entfernen Gelegenheit nimmt. In der 14. Auflage des „praktischen“ Reiseführers „Die Nordsee-Bäder“ von 1910 heißt es: Israeliten ist vom Besuch Borkums dringend abzuraten, da sie sonst gewärtig sein müssen, von den zum Teil sehr antisemitischen Besuchern in rücksichts losester Weise belästigt zu werden. Zit. nach: Tönjes Akkermann, Antisemitismus auf Borkum, Borkum 1993, unpaginiert 5 10 15 20 25 30 M2 Eine Antwort Der am „Jüdisch-Theologischen Seminar“ in Breslau lehrende Historiker Heinrich Graetz antwortet Treitschke am 7. Dezember 1879 in der „Schlesischen Presse“: Der Genius* des deutschen Volkes möge Ihnen verzeihen, dass sie das unüberlegte Wort ausgesprochen haben: Die Juden seien ein Unglück für das deutsche Volk. Sie stellen damit diesem Volke ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus, das dieses in seiner Kernhaftigkeit mit Unwillen zurückweisen wird. Wie? 40 Millionen Deutsche sollen in Gefahr sein, von einer Handvoll Juden korrumpiert** und entsittlicht zu werden? Es ist ein Schimpf, den Sie ihnen antun, wie Sie überhaupt dieses Heldenvolk beleidigen, indem Sie ihm volles Nationalgefühl absprechen. […] Glücklicherweise stehen die Sachen anders. Die Bewegung gegen die Juden ist 5 10 15 20 M4 „Juden werden hier nicht geduldet!“ Postkarte, um 1900. Diese Karte war nicht die einzige ihrer Art. 1. Arbeite die judenfeindlichen Einstellungen Treitschkes heraus (M1 und M2). 2. Verfasse eine Antwort auf Treitschkes Aussage (M1). Berücksichtige dazu M2. 3. Bewerte den Leserbrief und den Hinweis in dem Reiseführer (M3). 4. Untersuche die Postkarte (M4). Welche Einstellungen enthält sie? 5. Suche Zeugnisse jüdischen Lebens in deinem Wohnoder Schulort aus dem späten 19. Jh. und stelle sie vor. keinesfalls tief und groß. Zählen oder wägen Sie die judenfeindlichen Stimmen, denen Sie sich zugesellen – auch ohne Vergleich mit den judenfreundlichen – und Sie müssen finden, dass sie ebenso vereinzelt wie wenig bedeutend sind. Karsten Krieger (Bearb.), Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879-1881, a.a.O., S. 96f. *Genius: schöpferisch begabter Geist **korrumpieren: verderben 4453_109_129 06.06.14 11:28 Seite 127 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt u d s C .C . B uc h er V er la gs | |
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