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Geschichte erzählt Schrapnellwölkchen In dem Kampfgelände von Armentières (Frankreich). Foto vom April 1918. Der Jurist, Schauspieler und Journalist Rudolf Frank (1886-1979) veröffentlicht 1931 einen „Kriegsroman für die junge Generation“. Im Mittelpunkt stehen die Erlebnisse von Jan, der 14 Jahre alt ist, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Die folgende Szene lässt der Autor am 15. Oktober 1914 an der Ostfront stattfinden. Auch die Geschosse, die ein Geschütz hinausschleudert ins Feld, tragen in der Sprache der Kriegsleute freundliche, verführerische Bezeichnungen, die nichts verraten von den furchtbaren Verheerungen, die sie anrichten. Wenn man zum Beispiel von Granaten hört, darf man dabei nicht an jene Granaten denken, die eine gütige Natur den Menschen spendet: die Früchte des Granatbaums mit ihren süßen Kernen. Die Kriegsgranaten sind anders: Das Geschoss, das an Jans Geburtstag den schönen Pflaumenbaum vernichtet hat mit all seinen Früchten, war eine Granate. Diese Granaten sind aus Stahl und innen mit Sprengstoff gefüllt. Sie schlagen durch Wände und Mauern, explodieren und zerreißen mit ihren Sprengstücken alles, was in ihrer Nähe ist. Eine andere Art von Geschossen heißt „Schrapnell“, nach ihrem Erfinder, einem englischen Offizier namens Shrapnel. Ihre eiserne Schale umschließt zahllose Bleistückchen und Kugeln. Sie explodieren meist schon in der Luft auf ihrer Flugbahn. Dabei entwickelt sich aus dem weißen Rauch der Explosion ein anmutiges Wölkchen, aus dem die Bleistücke und Kugeln in Massen und mit mächtigem Prall nach allen Seiten auseinanderstieben. Ein einzelnes dieser tausend Teilchen genügt, einen Menschen zu töten oder ihn, sei er auch noch so stark und gesund, für sein künftiges Leben krank und arbeitsunfähig zu machen. […] Der Nebel wurde dichter. Sie gingen zu dem Graben, aus dem, wie Jürgensen sagte, die Geschosse der siebenten und achten Batterie* in der vergangenen Nacht die Russen vertrieben hatten. Vertrieben? Nein, da lag ja noch alles: Gewehre, Helme, Mützen und Säbel lagen in wüstem Durcheinander vor dem Graben herum, Essgeschirre, Kleider, Stiefel, Spaten und blutgetränktes Verbandszeug. Und in dem Graben, in den sie nun blickten, und in den Löchern, die die Volltreffer ihrer Granaten gerissen hatten, großer Gott, da lag noch alles: Da lagen Menschen, braun und grau wie der Schutt und die Schollen, lagen zusammengekrümmt oder ausgestreckt in Staub, Blut und Schmutz. Menschengesichter klafften auseinander. Menschliche Rümpfe kamen wie Baum stümpfe aus dem Boden, menschliche Arme und Beine lagen wie abgehauene Äste, menschliche Hände und Finger wuchsen aus der Erde wie Pflanzen. So sah das Feld aus, in das sie gezogen waren und das sie bestellt hatten, ihr Schlacht-Feld. Das war die Saat, die aufgegangen war aus den Granatkernen ihrer Geschütze. Der ganze Graben war damit angefüllt. Es war die Vorrats kammer des Todes, in die sie hineinblickten. Rudolf Frank, Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß. Ein Roman gegen den Krieg, Weinheim 22004 *Batterie: Einheit des Heeres 131Geschichte erzählt 4453_130_161 06.06.14 11:29 Seite 131 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V rla gs | |
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