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99Schreiben: Einen Prosatext interpretieren Erlebte Zeitgeschichte Die ganze Wahrheit?, fragte sie leise. Die ganze Wahrheit!, schrie ich ihr ins Gesicht. Und die Kinder?, fragte sie nach einer Weile und dann: Wenn du nun dieser Mann wärst? Ich bin aber nicht dieser Mann, verstehst du? Ich bin nicht dieser Mann! Ich bin es nicht! Nein, du nicht. Du hast damals Glück gehabt, damals, in den Jahren. Du bist verrückt! Glück. Wenn ich das schon höre. Man brauchte so etwas nicht zu tun, man konnte sich weigern, verstehst du? Man konnte sich weigern. Weißt du das so genau?, fragte sie. Ja, das weiß ich genau! Und hast du dich geweigert?, bohrte sie weiter. Ich war erstaunt. Ich? Mich geweigert? … Nein … wieso … ich bin doch nie in die Lage gekommen … nein … das blieb mir erspart … ja … wie soll ich das sagen … Ich sagte doch, du hast Glück gehabt, du bist nie in die Lage gekommen. Und du hättest dich natürlich geweigert. Natürlich hätte ich!, rief ich aufgebracht. Sie sah mich lange an, dann sagte sie: Manchmal hast du auch Augen wie er, aber nur manchmal. Sei vernünftig. Es geht hier um Wahr heit und Gerechtigkeit. Wo kä men wir hin, wenn … Oder um Rache? Nicht wahr? Wird ein anderer abgeurteilt, beruhigt das euer Gewissen. Geht es nicht auch um die Kinder? Ja mein Lieber, auch um die Kinder. Dann trug sie das Abend essen auf. Die Kinder des Verurteilten riefen nun nicht mehr Onkel Karl hinter mir her, sie versteckten sich, wenn sie mich kom men sahen, und das war schlimmer, als wenn sie gerufen hätten. Am dritten Sonntag nach dem Ur teil kam meine Frau in das Wohnzimmer, meine drei Kinder ebenfalls, und sie 80 85 90 95 100 105 110 115 Familie Schoelermann, Familienserie auf NDR in den 60iger Jahren ➝ Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge tu d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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