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Mir war die Tatsache oft unheimlich, daß sich der Anfang, auch das Ende jeder Geschichte, die man nur lange genug verfolgt, irgendwann in der Weitläufigkeit der Zeit verliert aber weil nie alles gesagt werden kann, was zu sagen ist, und weil ein Jahrhundert genügen muß, um ein Schicksal zu erklären, beginne ich am Meer und sage: Es war ein heller, windiger Märztag des Jahres 1872 an der adriatischen Küste. Vielleicht standen auch damals die Möwen wie filigrane Papierdrachen im Wind über den Kais, und durch das Blau des Himmels glitten die weißen Fetzen einer in den Turbulenzen der Jahreszeit zerrissenen Wolkenfront ich weiß es nicht. Überliefert ist aber, daß an diesem Tag Carl Weyprecht, ein Linienschiffslieutenant der k.u. k. österreichisch-ungarischen Marine vor dem Hafenamt jener Stadt, die von den Italienern Fiume und von ihren kroatischen Bewohnern Rijeka genannt wird, eine Rede hielt. Er sprach vor Seeleuten und gemischtem Hafenpublikum über die Drohungen des höchsten Nordens. Ich habe lange an der Vorstellung festgehalten, dass im Verlauf der langen Rede Weyprechts ein plötzlicher Frühlingsregen einsetzte; ein Regen, in dessen besänftigendem Rauschen sich dann ein paar zuhörende Matrosen verlaufen konnten, ohne in den Verdacht zu geraten, sie gingen fort, weil sie sich vor den Bildern, die der Schiffslieutenant beschwor, fürchteten. Weyprecht beschrieb eine ferne Welt, in der eine kalte Sommersonne den Seefahrer monatelang umkreise, ohne jemals unterzugehen; im Herbst aber beginne es zu dunkeln und schließlich senke sich, wiederum für Monate, die Finsternis der Polarnacht über jene Gegenden, und eine namenlose Kälte. Weyprecht sprach von der großen Verlassenheit eines Schiffes, das, festgefroren im Packeis, durch ein unerforschtes Meer treibe – ausgeliefert der Willkür der Strömungen und den Eispressungen, die tonnenschwere Eisdecken zum Bers ten brächten und Eisblock um Eisblock aufeinandertürmten, haushoch! Eine Gewalt, die selbst stahlverstärkte Bäuche von Schonern und Fregatten oftmals zerdrückt habe wie Modelle aus Blattholz. Das Ächzen und Kreischen der zu Eis erstarrten Dünung des Nördlichen Polarmeeres könne in dem Reisenden, der in jene Gegenden vordringe, manchmal die verborgensten Ängste nach oben drängen, und doch müsse er oft jahrelang in dieser Welt verbleiben, eingeschlossen zwischen Mauern aus Packeis und ohne einen anderen Trost als die eigene Kraft. (S. 11f.) 4. Formen Sie die indirekte Wiedergabe der Rede Carl Weyprechts in wörtliche Rede um und halten Sie die Rede vor der Klasse. Überlegen Sie, welche Absicht der Schiffskommandant verfolgt. 5. Beschreiben Sie, wie der Erzähler mit Weyprechts Rede umgeht und was diese Form der Darstellung bewirkt. 225Umgang mit Texten und Medien: Einen postmodernen Roman erschließen Eiswelten Faszination und Grauen 10 15 20 25 30 35 40 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn r V er la gs | |
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