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451Der 27. Januar als Gedenktag M1 Der 27. Januar 1945 in Auschwitz Unter den Kranken, die von der fl üchtenden SS unter furchtbaren Bedingungen im Lagerkomplex Auschwitz zurückgelassen werden, befi ndet sich auch der an Scharlach erkrankte italienische Chemiker und Schriftsteller Primo Levi. In seinen zwischen Dezember 1945 und Januar 1947 niedergeschriebenen Erinnerungen notiert er, wie er den 27. Januar 1945 im Lager Monowitz nahe Auschwitz erlebt hat: Wir liegen in einer Welt der Toten und Larven. Um uns und in uns war die letzte Spur von Zivilisation geschwunden. Das Werk der Vertierung, von den triumphierenden Deutschen begonnen, war von den geschlagenen Deutschen vollbracht worden. Mensch ist, wer tötet, Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der roheste Pygmäe und der grausamste Sadist. 27. JANUAR. Morgengrauen. Auf dem Fußboden das schandbare Durcheinander verdorrter Glieder, das Ding Sómogyi1. Es gibt dringendere Arbeiten. Man kann sich nicht waschen, wir können ihn nicht anfassen, bevor wir nicht gekocht und gegessen haben. Und dann „…rien de si dégoutant que les débordements2“, wie Charles richtig meint; der Latrineneimer muss geleert werden. Die Lebenden stellen größere Ansprüche. Die Toten können warten. Wir begaben uns an die Arbeit, wie jeden Tag. Die Russen kamen, als Charles und ich Sómogyi ein kurzes Stück wegtrugen. Er war sehr leicht. Wir kippten die Bahre in den grauen Schnee. Primo Levi, Ist das ein Mensch?, München/Wien 1991, S. 164 f. 1. Beschreiben Sie, wie Levi die letzten Stunden vor der Befreiung erlebt. 2. Analysieren Sie Levis Sprache. Wie lässt sie sich erklären? 3. Ordnen Sie seinen Bericht einer Quellengattung zu. 4. Nehmen Sie Stellung zu Levis Ausführungen über das Menschsein. M2 „Die Erinnerung darf nicht enden“ Am 3. Januar 1996 proklamiert Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. In einer Ansprache im Deutschen Bundestag am 19. Januar 1996 begründet er diesen Schritt: Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Auschwitz steht symbolhaft für millionenfachen Mord – vor allem an Juden, aber auch an anderen Volksgruppen. Es steht für Brutalität und Unmenschlichkeit, für Verfolgung und Unterdrückung, für die in perverser Perfektion organisierte „Vernichtung“ von Menschen. […] Viele haben sich schuldig gemacht, aber die entscheidende Aufgabe ist es heute, eine Wiederholung – wo und in welcher Form auch immer – zu verhindern. Dazu gehört beides: die Kenntnis der Folgen von Rassismus und Totalitarismus und i Sowjetische Soldaten nach der Ankunft im KZ Auschwitz. Foto, Januar 1945. 1 Ungarischer Mithäftling, der in der Nacht zuvor an einer schweren Infektionskrankheit gestorben ist. 2 franz.: „nichts ist so abscheulich/ekelhaft wie die Überfl utung [mit Fäkalien]“ 5 10 15 20 25 5 10 32015_1_1_2015_Kap4_442-469.indd 451 01.04.15 11:04 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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