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465 Theorie-Baustein: Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur Kompetenz: Theoretische Vorstellungen über Bedingungen, Formen und Folgen von Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur benennen und erörtern Formen von Geschichtskultur Unter Geschichtskultur versteht man die „Gesamtheit der Formen, in denen Geschichts wissen in einer Gesellschaft vorhanden und wirksam ist“ (Wolfgang Hardtwig). Ereignisse oder Produkte, die im Umgang mit Geschichte entstehen, jede Beschäftigung mit Geschichte, sei sie wissenschaftlicher oder privater Natur, ist somit ein Teil der Geschichtskultur. Sie erzeugt neue Perspektiven auf die Vergangenheit und damit ein Geschichtsbewusstsein (u M1). Geschichtskultur bedient sich unterschiedlichster wirkmächtiger medialer Formen. Diese können sehr plakativ, aber auch intellektuell oder ästhetisch sehr ambitioniert oder kreativ sein. Vermittelt wird Geschichtskultur über Museen oder Gedenkstätten, über Filme und Literatur – auch Comics und Fantasy-Romane –, über das Feuilleton der großen Tages zeitungen, über Ausstellungen oder Kunst (z. B. Denkmäler), selbst über Computerspiele und Redensarten und vieles andere mehr. Wissenschaftlich erforschte historische Sachverhalte werden dabei häufi g als Grundlage benutzt, jedoch von den „Produzenten“ von Geschichtskultur auf eigene Art und Weise interpretiert und präsentiert. Die historische Forschung hat auf diese unterschiedlichen Formen der „Geschichtspräsentation“ insgesamt nur sehr wenig Einfl uss. Die Geschichtskultur scheint sich völlig unbekümmert nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln. Bisweilen werden uralte und banale Klischees weitertransportiert oder eine ganze Epoche durch Mythen zum Gegenstand trivialer Sehnsüchte, etwa nach der angeblich „guten alten Zeit“, gemacht. Das Eigenleben der Geschichtskultur sollte dennoch keinesfalls pauschal verdammt werden – man sollte ihr refl ektiert begegnen und untersuchen, welche Werthaltungen und Urteile sie reproduziert oder infrage stellt. Defi nitionen und Konzepte Der Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen unterscheidet drei Dimensionen von Geschichtskultur: Die ästhetische Dimension spricht die Sinne und das Fühlen an, die politische Dimension verfolgt (ideologische) Machtoder Herrschaftsinteressen, die kognitive Dimension spricht das „Denken“ an und zielt auf eine rationale Auseinandersetzung mit dem historischen Thema. Geschichtsbewusstsein wiederum entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit der umgebenden Geschichtskultur. Es entsteht durch den deutenden Umgang mit der Zeit durch his torische Erinnerung und versucht, die chaotische Fülle von Eindrücken zu ordnen, in eine Struktur zu bringen und ihr einen Sinn zu vermitteln. Nach der Defi nition des Geschichtsdidaktikers Karl-Ernst Jeismann ist Geschichtsbewusstsein der „Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive“. Zum Konzept von Geschichtskultur und Geschichtsbewusstsein gehört auch, über Erinnerung und Gedächtnis nachzudenken. Während Erinnerung im Hinblick auf Kultur und Geschichte das Nachdenken und den Austausch persönlicher Erfahrungen eines Einzelnen meint, versteht man unter Gedächtnis ein Programm, Vergangenes für eine größere Wir-Gruppe zu bewahren, etwa Nationen, die ihre Geschichte durch Rituale oder Mythen lebendig halten.1 Die Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann haben auf der Grundlage der Forschungen des französischen Philosophen und Soziologen Maurice Halbwachs Formen und Funktionen des Erinnerns in der Gesellschaft erforscht und drei Formen von „Gedächtnis“ defi niert: das 1 Siehe den Theorie-Baustein „Nation – Begriff und Mythos“ auf Seite 380 bis 385. 32015_1_1_2015_Kap4_442-469.indd 465 01.04.15 11:04 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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