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231Additum „So muss man beten!“ Die Aggressivität und Unduldsamkeit einiger Christen, die sich schon bei der Suche Helenas nach dem heiligen Kreuz zeigte, fand ihren Höhepunkt in den Kreuzzügen. Nachdem die Christen Jerusalem 1099 erobert hatten, entwickelte sich dort ein Zusammenleben von Christentum und Islam. Die folgende Episode wurde von dem syrischen Diplomaten Usâma ibn Munqidh um 1180 n. Chr. aufgezeichnet und ist typisch für die Mischung von Misstrauen, Zusammenarbeit und Respekt, die das Verhältnis zwischen den Religionen bestimmte: Cum Christiani Hierosolyma1 possiderent, nobis tamen ius concessum est religionis nostrae sequendae. Itaque saepe ecclesiam maiorem2 visere consueveram. Nam equites Christiani, amici mei, me in sacello3 quodam Deum meum colere patiebantur. Aliquando4 hoc loco sacro versatus sum, cum subito miles quidam Christianus intravit, me vidit orantem, me aggressus est et vultu acri iussit: „Homo turpis, verte os tuum ad orientem5!“ Os meum vi ad orientem vertit clamans: „Sic orare debes!“ Magno clamore orto nonnulli equites Christiani, qui clamorem audiverant, mihi auxilio venerunt petentes, ut homini saevo veniam darem. Sie erklären dem völlig überraschten Usâma, dass nach christlichem Brauch der Gläubige beim Gebet gewöhnlich nach Osten schaut, in die Richtung des Sonnenaufgangs, während er sich nach Mekka, also fast genau nach Süden, gewandt habe. Cum equites Christiani militem querentem deduxissent, iterum Deum colere studui, sed miles furore accensus custodes superavit et me iterum aggressus magna voce clamavit: „Verte os tuum ad orientem, turpis!“ Equites redierunt, militem in vincula miserunt, ad iudicem duxerunt. Iterum veniam petebant proponentes: „Ille homo e natione aliena profectus nuper ex Europa Hierosolyma venit. Nondum vidit homines, qui orantes os ad orientem non vertunt.“ Tandem equites Christiani pollicebantur, ut iste miles poena iusta afficeretur; equidem furore vultuque hominis territus ecclesiam reliqui. (nach Usâma ibn Munqidh, Das Buch der Belehrung durch Beispiele) 3 6 9 12 15 18 1 Hierosolyma, ōrum n Pl. Jerusalem 2 ecclēsia māior Hauptkirche, Dom 3 sacellum Seitenkapelle 4 aliquandō Adv. einmal, einst 5 oriēns, orientis Osten 1 Versuche vor der Übersetzung, durch mehrmaliges aufmerksames Lesen oder Hören des Textes seinen Inhalt zu erschließen. Präge dir dazu zunächst die unbekannten Namen und Vokabeln ein und achte dann auf die Textmerkmale, die dir bereits bekannt sind, z. B. Wortund Sachfelder, Tempusrelief, Ortsund Personennamen. 2 Zeige das komplizierte Verhältnis Usâmas zu seiner christlichen Umgebung auf: Was tadelt er an den Christen, was lobt er? Wie verhalten sich umgekehrt die Christen ihm gegenüber? 3 Stellt die Ursachen für Toleranz bzw. Intoleranz gegenüber Angehörigen einer anderen Religion aus T zusammen. Wo finden sich aktuell vergleichbare Phänomene? Der Felsendom in Jerualem ist ein Hauptheiligtum des Islam. Der Kuppelbau wurde im 7. Jh. an der Stelle errichtet, wo die Himmelfahrt Mohammeds stattgefunden haben soll. Die Architektur dieses ältesten islamischen Sakralbaus bediente sich christlich-byzantinischer Vorbilder. Nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter (1099) wurde der Dom zur christlichen Kirche. Sultan Saladin machte ihn 1187 wieder zum islamischen Heiligtum. 45 T4 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V rla gs | |
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