Volltext anzeigen | |
17Umgang mit Texten und Medien: Erzählungen untersuchen und gestalten Fantastische Begegnungen Wiedergabe von Gedanken und Gefühlen Ralf Isau Der Schattendieb In Osttarra, dem Reich der lebenden Schatten, herrscht König Saros. Er will die Schatten zu Menschen und die Menschen zu Schatten machen. Deshalb schwärmen bei Sonnenund Mondfinsternissen die Schattendiebe aus und gehen auf der Erde auf Beutefang. Diesmal darf der junge Jäger Corvin seinen Ziehvater1, den Schnitter2 Maloron, und dessen Nachtfalken Tamaris begleiten. Dabei begegnet er zum ersten Mal den Menschen. Die Menschen! Corvin kannte sie nur aus den Berichten der Schattenjäger, wenn sie von ihren Streifzügen erzählten. Hier sah er die „Schnecken“, wie nicht wenige Schnitter sie abfällig nannten, in ihrer ganzen Lebendigkeit. Zugegeben, sie wirkten auf ihn tatsächlich ziemlich träge und eher wie schrill angemalte Figuren auf einem großen Spielbrett. Gleichwohl konnte er die Verachtung der Schattenjäger für diese Geschöpfe aus Fleisch und Blut nicht nachempfinden. Er meinte rund um das brennende Haus hinreichend viele Exemplare von ihnen zu sehen, um sich dieses Urteil erlauben zu können. Ja, trotz aller Schrecklichkeit, die in dieser Momentaufnahme ihres sterblichen Daseins versammelt war, fand Corvin die Menschen unbeschreiblich schön. […] Ein paar Schritte abseits stand ein Mann, der mit seinen Armen zwei Kinder umfangen hielt. Sie waren wohl den Flammen mit knapper Not entkommen. Mit nichts als den Kleidern auf dem Leib standen sie jetzt da, die rußverschmutzten Gesichter von Tränen verschmiert, und starrten verzweifelt in die lodernden Fens ter. Sie schienen etwas zu rufen, aber weil die ganze Szene für Corvin wie erstarrt wirkte, konnte er sie nicht verstehen. Dieses „Gemälde“ der vom Unglück heimgesuchten Familie drückte so viele Gefühle aus, dass ihm ganz mulmig wurde. Obwohl die drei unbestreitbar Schreckliches durchlitten, beneidete er irrwitzigerweise3 die Kinder, weil er zwischen ihnen und ihrem Vater eine Nähe wahrzunehmen glaubte, die er bei Maloron nie erfahren hatte. Was sie wohl riefen ...? Plötzlich erschauderte er, nicht buchstäblich, nur sein Geist erbebte unter der 1 1 der Ziehvater: jemand, der ein Kind aufzieht, ohne sein leiblicher Vater zu sein 2 der Schnitter: der Sensenmann, der Tod 3 irrwitzigerweise: absolut nicht nachzuvollziehen; völlig unverständlich 5 10 15 20 25 30 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt u d es C .C . B uc hn er V rla gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |