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143Umgang mit Texten und Medien: Analyse von Gedichten Alles Liebe 15 20 25 30 35 40 Herder lernte er in Sesenheim die Pfarrerstochter Friederike Brion kennen. Nach der ersten Begegnung schreibt er ihr: „Die Umstände unserer Rückreise können Sie sich ohngefähr vorstellen, wenn Sie mir beim Abschiede ansehen konnten, wie leid er mir tat …“ Schon bald danach treibt ihn die Sehnsucht zu Friederike: „Ich glaubte, eine Stimme vom Himmel zu hören, und eilte, was ich konnte, ein Pferd zu bestellen und mich sauber herauszuputzen. (…) ich kam nicht so früh weg, als ich gehofft hatte. So stark ich auch ritt, überfiel mich doch die Nacht. Der Weg war nicht zu verfehlen, und der Mond beleuchtete mein leidenschaftliches Unternehmen. Die Nacht war windig und schauerlich, ich sprengte zu, um nicht bis morgen früh auf ihren Anblick warten zu müssen. Es war schon spät, als ich in Sesenheim mein Pferd einstellte.“ Immer öfter zieht es Goethe nach Sesenheim, wo er mit Friederike eine unbeschwerte Zeit genießt. „Ich war grenzenlos glücklich an Friedrikens Seite.“ Bezeichnend ist allerdings, dass sich in die idyllische Stimmung von Sesenheim schon nach wenigen Monaten Töne des Zweifelns mischten: „Ich (…) fühle, dass man um kein Haar glücklicher ist, wenn man erlangt, was man wünscht.“ Obwohl er sehr oft zu Gast bei Friederikes Familie ist, gelingt es ihm, sein Studium am 6. August 1771 mit einer Promotion abzuschließen. Vielleicht spürt Goethe schon, dass sich die Beziehung ihrem Ende zuneigt: „Eine solche jugendliche, aufs Geratewohl gehegte Neigung ist der nächtlich geworfenen Bombe zu vergleichen, die in einer sanften, glänzenden Linie aufsteigt, sich unter die Sterne mischt, ja einen Augenblick unter ihnen zu verweilen scheint, alsdann aber abwärts zwar wieder dieselbe Bahn, nur umgekehrt, bezeichnet, und zuletzt da, wo sie ihren Lauf geendet, Verderben hinbringt.“ Für Goethe steht nach Abschluss seines Studiums fest, dass er Straßburg verlassen wird. „(…) konnte ich doch nicht unterlassen, Fried riken noch einmal zu sehn. Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben ist. Als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zu Mute.“ Informationen zum Werk, zur Entstehungszeit oder zur Biografie des Autors können ebenso wie dessen eigene Äußerungen oder die Aussagen anderer Interpreten zu einem besseren Verständnis eines Textes beitragen und dürfen für eine Interpretation herangezogen bzw. zitiert werden. Literarische Texte, also auch Gedichte, lassen sich in der Regel aber auch ohne Kenntnisse von Leben und Werk des Autors, allein auf der Basis des vorliegenden Textes, interpretieren. Die Besonderheiten eines Gedichts werden deutlich erkennbar, wenn man sich Alternativen für einzelne Wörter und Wendungen überlegt. Durch diesen „Trick“ wird einem schnell bewusst, welche Wirkung der Autor gerade mit seiner Entscheidung erzielt. N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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