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153Umgang mit Texten und Medien: Eine Kriminalnovelle analysieren Gold und Geld 3 scheffelweise: ein Scheffel ist ein altes Hohlmaß für trockenes, schütt bares Gut, ca. 250 l 1 wucherische Zinsen: übertrieben hohe Zinsen 2 Marzipan war früher ein Luxusgut 4 der Registrant im Magis trat: Kanzleiangestellter des Gemeinderats 5 der Mietsmann: der Untermieter 6 der Haubenstock: ein hölzernes Gestell zur Aufbewahrung der Haube 7 die Bettsponde: der Fuß des Bettes 30 35 40 45 50 55 60 Czenczi aber schlug die Hände vors Gesicht und rief: „Gott behüt’ uns, mir ist, als sähe ich es vor mir stehen, das hässliche Weib!“ „Denkt Euch nun mein Erstaunen, werte Jungfer“, fuhr Herr Steidler fort, „als ich plötzlich den jungen hübschen Mann die dürren, krummen Knochenfinger der Alten erfassen und mit einer Andacht und Inbrunst küssen sah, als wäre sie eine kaiserliche Prinzessin und der Ausbund aller Schönheit!“ Bei seinem Wirt erkundigte sich Steidler nach der alten Frau und erfuhr, es handle sich um die Marzipanliese, eine Pfandleiherin. Die Marzipanliese „leihe nämlich auf Pfänder, drückte ihren Schuldnern wucherische1 Zinsen ab, verkaufe ihnen Haus und Hof, und wenn die armen Leute dann ihre Hartherzigkeit verfluchten, pflegte sie zu sagen, wenn sie nur ihr Geld habe, das andere wäre ihr Marzipan2, welcher Redensart sie denn auch ihren Spitznamen verdanke. Sie wäre nun an die Siebzig, besäße zwei Häuser zu Bruck, drei Häuser zu Grätz, und auch sonst noch Grundstücke, Weingärten und scheffelweise3 Geld, aber nicht Kind noch Kegel und kein Mensch wisse, wem nach ihrem Tode all der Reichtum zufallen werde. ‚Und da der junge Mann‘, sage ich darauf, ‚wer ist er, und macht er der Alten den Hof und will er sie etwa heiraten?‘ Worauf der Kreuzwirt lachte und meinte, die Alte wolle der nicht, nur ihr Geld; denn er wäre armer Leute Kind und hätte sich durch Fleiß und Geschicklichkeit, vorzüglich aber durch die Gunst der Weiber emporgearbeitet, mit denen er als ein hübscher, pfiffiger Bursche gar gut umzugehen wisse, sodass er jetzt Registrant im Magistrat4 und sehr beliebt bei Rat und Bürgerschaft wäre. Da ich aber meine Frage wiederhole, was denn doch wohl der Herr Registrant mit der boshaften Alten wolle, sagte der Kreuzwirt: ‚Nun, er ist ihr Mietsmann5, und seit er in ihr Haus gezogen, hätschelt und pflegt er die Alte, besorgt ihre Geschäfte, redet ihr in aller Weise zu Gehör und alles das in der Hoffnung, die werde ihm ein tüchtig Stück Geld hinterlassen. Es solle auch’, setzte der Kreuzwirt hinzu, ‚schon alles in Richtigkeit sein; ja der Regis trant behaupte sogar, er selbst habe der Alten auf ihr Verlangen den Entwurf zu einem Testamente aufsetzen müssen, in dem sie ihn zu ihrem Universalerben erklärte […].‘“ Mehr erfuhr Steidler nicht über die alte Frau und ihren Mieter. Als ihn sechs Wochen später seine Geschäfte wieder nach Bruck führten, war die Marzipanliese ermordet. Zusammen mit dem Kreuzwirt gelangte Steidler an den Tatort, die Schlafstube des Opfers. „Das erste, was mir hier in die Augen fiel, war die über einen Haubenstock6 gestülpte Drahthaube mit der feuerfarbenen Schleife: über der Lehne eines Stuhls hing das Kamelotkleid und das dazugehörige Halbmäntelchen; die Besitzerin dieser Gewänder aber lag unfern von ihrer Bettsponde7, nur notdürftig bedeckt, auf dem Boden; das dünne, graue Haar hing aufgelöst um das runzN u r zu P rü fz w e c k n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n r V e rl a g s | |
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