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Welches Risiko darf die Wissenschaft eingehen? 139 Pragmatische Risikoeinschätzung Reporterin: Sie befassen sich als Wissenschaftler speziell mit den Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen. Wie stehen Sie zu Hans Jonas’ Postulat der Heuristik der Furcht? Wissenschaftler: Dieses Postulat führt dazu, dass Wissenschaft sehr stark eingeschränkt wird. Wenn wir alles unterlassen, was mit einem Risiko behaftet ist, wäre das sehr innovationsfeindlich. Es ist auch illusorisch, absolute Sicherheit zu fordern. Unser alltägliches Leben ist mit Risiken verbunden; wer Auto fährt, geht z. B. das Risiko eines Verkehrsunfalls ein. Daher sollte jeder, der ein Risiko auf sich nimmt, auch bereit sein, ein anderes Risiko auf sich zu nehmen, das kleiner oder gleich dem ersten ist. Carl Friedrich Gethmann hat dies den Grundsatz pragmatischer Konsistenz genannt. Risikoeinschätzung ist etwas Komparatives, d. h. es muss unter alternativen Handlungsmöglichkeiten abgewogen werden. Reporterin: Wie würden Sie denn auf dieser Grundlage die Grenze ziehen zwischen Risiken, die Wissenschaft eingehen darf, und solchen, die sie nicht eingehen darf? Wissenschaftler: Dazu hat Professor Gethmann vier Postulate aufgestellt. Besonders wichtig ist das Begrenzbarkeitspostulat. Es besagt, dass alle Handlungen zu verwerfen sind, deren Handlungsfolgenraum prinzipiell unabgrenzbar ist. Wenn ein Risiko grundsätzlich nicht überschaubar ist, darf es nicht eingegangen werden. Das bedeutet aber auch, dass Handlungen, deren Folgen begrenzbar sind, verantwortet werden können. Reporterin: Wie lässt sich denn feststellen, ob Handlungsfolgen begrenzbar sind? Wissenschaftler: Dazu dienen die drei weiteren Postulate. Das Überschaubarkeitspostulat besagt: „Von zwei alternativen Handlungsmöglichkeiten wähle (bei gleicher Chance) diejenige, deren Handlungsfolgenraum kleiner ist.“ Um herauszufinden, was die Folgen unseres Handelns sind, ist Forschung nötig. Wer also Risikominimierung fordert, aber entsprechende Forschung behindert, verwickelt sich in einen Selbstwiderspruch. M3 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 1 Interpretiere die Karikatur. Beachte, dass das Aussterben der Dinosaurier auf die Folgen eines AsteroidenEinschlags zurückgeführt wird. ➜ M1 2 Erläutere das Postulat der Heuristik der Furcht: Welches Risiko darf die Wissenschaft nach Jonas nicht eingehen? ➜ M2 3 Worum darf man nach Jonas wetten, worum nicht? Stelle dar, was daraus für die Verantwortung der Wissenschaft folgt. ➜ M2 4 Erkläre, warum der Wissenschaftler Jonas kritisch gegenübersteht. ➜ M3 5 Formuliere die Auffassung des Wissenschaftlers zum Risiko, das ein Mensch eingehen soll. ➜ M3 6 Fertigt ein Schaubild zu den fünf Grundsätzen Gethmanns an und erläutert sie. ➜ M3 7 Vergleicht die beiden Positionen. Welcher Auffassung würdest du dich anschließen? ➜ M2/M3 Glossar: Hans Jonas, Heuristik, Postulat Reporterin: Wie lauten die weiteren Postulate? Wissenschaftler: Das Beherrschbarkeitspostulat lautet: „Wenn zwei Handlungen mit überschaubaren Handlungsfolgen zur Verfügung stehen, wähle diejenige, deren Handlungsfolgen besser beherrschbar sind.“ Hier geht es darum, Risiken durch Technik beherrschbar zu machen. Vermutlich sind die Folgen der Verwendung von treibgasbetriebenen Spraydosen inzwischen gut überschaubar, aber sie sind eben nicht beherrschbar, und deswegen sollen wir mechanische Sprühflaschen verwenden. Schließlich gilt das Zurückführbarkeitspostulat. Es lautet: „Von zwei Handlungen mit überschaubaren und beherrschbaren Handlungsfolgenräumen wähle diejenige, deren Handlungsfolgen mehr oder eher revidierbar sind, bis einschließlich der Möglichkeit, den Status quo ante wiederherzustellen.“ Das bedeutet, dass alle Forschung nicht verantwortlich ist, die dazu führt, dass Wirkungen, die sich als schädlich erweisen, nicht mehr rückgängig zu machen sind. – Ich schlage nun vor, eine Handlung dann sicherer zu nennen als eine andere, wenn sie die vier genannten Kriterien erfüllt. nach Bernd Rolf, S. 129 A u fg a b e n Nu zu P rü fzw ck n Ei g nt um d s C .C . B uc hn r V rla gs | |
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