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Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen, [...] liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können. Das heißt so viel wie einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen bestimmen, die deren Person verkörpern sollen, und bedeutet, dass jedermann alles als eigen anerkennt, was derjenige, der auf diese Weise seine Person verkörpert, in Dingen des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Sicherheit tun oder veranlassen wird, und sich selbst als Autor alles dessen bekennt und dabei den eigenen Willen und das eigene Urteil seinem Willen und Urteil unterwirft. Dies ist mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung: Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, dass du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinte Menge Staat, auf lateinisch civitas. Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. von Iring Fetscher, übersetzt von Walter Euchner, 152011, S. 94 ff. und 134 f. 1. Überprüfen Sie, ob die Entstehung von Staaten aus vernunftgeleiteten Verträgen historisch plausibel ist. 2. Weisen Sie nach, dass mit Hobbes’ Theorie vom Staat wohl eine absolutistische Herrschaft, nicht aber ein parlamentarisches System begründet werden kann. 3. Erörtern Sie, warum absolute Monarchen die Gedanken vom Herrschaftsvertrag dennoch scharf ablehnten. M3 Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? Immanuel Kant liefert 1784 in einem Aufsatz eine philosophische Definition der geistigen Bewegung der Aufklärung: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen [naturaliter majorennes], dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. […] Immanuel Kant, Was ist Aufklärung? Ausgewählte Kleine Schriften, hrsg. von Horst D. Brandt, Hamburg 1999, S. 20 1. Erläutern Sie, worin Immanuel Kant die Ursachen der menschlichen Unmündigkeit sieht. 2. Überprüfen Sie die Schlussfolgerungen Kants an einem geeigneten Beispiel aus Ihrem Erfahrungsbereich. 3. Übertragen Sie die Erkenntnisse Kants auf die Politik, besonders auf den Absolutismus. M4 John Locke: Die Teilung der Staatsgewalt Der englische Staatstheoretiker John Locke, der in England die zum Teil blutigen Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament erlebt hat, begründet in seinem Hauptwerk „Two Treatises of Government“ (1690) die Gewaltenteilung: 135. Obwohl die Legislative – ob sie in den Händen eines Einzelnen oder mehrerer liegt, ob dauernd oder nur zeitweilig – die höchste Gewalt eines jeden Staates darstellt, ist sie doch: zum Ersten nicht – und kann es unmöglich sein – eine willkürliche Gewalt über Leben und Schicksal des Volkes. Sie ist nichts als die vereinigte Gewalt aller Mitglieder jener Gesellschaft, die derjenigen Person oder Versammlung übertragen wurde, die der Gesetzgeber ist, und kann folglich nicht größer sein als Gewalt, die jene Menschen im Naturzustand besaßen, bevor sie in die Gesellschaft eintraten, und die sie an die Gemeinschaft abtraten. Denn niemand kann einem anderen größere Macht übertragen, als er selbst besitzt, und niemand hat absolut willkürliche Gewalt über sich selbst oder irgendeinen anderen Menschen, sein eigenes Leben zerstören oder einem anderen sein Leben oder Eigentum zu nehmen. Der Mensch kann sich nicht – wie schon bewiesen wurde – der willkürlichen Gewalt eines anderen unterwerfen. Da er im Naturzustand keine willkürliche Gewalt über Leben, Freiheit oder Besitz eines anderen hat, sondern nur so viel, wie ihm das Naturgesetz zur Erhaltung seiner selbst und der übrigen Menschen verlieh, ist dies auch alles, was er an das Staatswesen oder damit an die gesetzgebende Gewalt 25 30 35 40 45 10 15 5 10 15 20 Frühe Neuzeit: Neue Menschenund Weltbilder 35 5 N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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