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135Geschichte erzählt Die Hofgesellschaft im Schloss Versailles bei Paris war wie vom Donner gerührt. Nie hätte man erwartet, das hören zu müssen. War das der König, wie man ihn seit Jahren kannte? War er nicht immer wie Wachs in den Händen seines Ers ten Ministers, des Kardinals Mazarin, gewesen? War er nicht gestern, als die Nachricht von dessen Tod gekommen war, in Tränen ausgebrochen und hatte geschluchzt: „Ab heute werde ich alleine sein!“ – Ein König, der öffentlich weint, ist schwach. Alles werde also so weitergehen wie bisher – so hatten die Herren des Hochadels gedacht. Unklar war ihnen nur gewesen, wen der 23-jährige Monarch zum Ersten Minister machen würde. Und heute: Ludwig hatte den Hochadel bereits einen Tag nach dem Tod Mazarins um 7 Uhr früh zu sich gebeten und der Hofgesellschaft nach einer kurzen, beinahe kalten Begrüßung eröffnet, dass er von nun an alle Staatsgeschäfte alleine leiten wolle! „Was die Personen betrifft, die mir bei meiner Arbeit helfen sollen, so habe ich mich vor allem entschlossen, keinen Ers ten Minister mehr in meinen Dienst zu nehmen“, fügte er hinzu. „Denn nichts ist in meinen Augen unwürdiger für einen König, als wenn andere die Entscheidungen treffen und für ihn nur der leere Titel bleibt. In Zukunft haben die Männer, die ich zu Ministern berufen werde, meine Befehle entgegenzunehmen und zu meiner Zufriedenheit auszuführen. Sie werden nichts tun, wozu ich sie nicht beauftragt habe. Sie werden sich bereithalten, mir zu jeder Stunde über ihr Handeln Rechenschaft zu geben.“ Als der König eine kurze Pause machte, meinten die Adligen, die Audienz sei beendet. Sie verbeugten sich tief vor ihm und wollten den Raum verlassen. Ludwig aber schien ihre Verbeugung gar nicht zu bemerken, jedenfalls gab er ihnen kein Zeichen, das es ihnen erlaubt hätte, sich zu erheben. So blieb ihnen nichts übrig, als die weiteren königlichen Worte mit gebeugtem Rücken anzuhören. „Sofern Ihnen an meiner Gnade liegt, werden Sie von heute an in meiner von Gott geheiligten Person die höchste Autorität unseres Königreiches anerkennen. Anderenfalls ist für Sie kein Platz in meinem Dienst mehr. – Meine Herren …!“ Mit einer fast nachlässigen Handbewegung gab Ludwig das Zeichen, das den Adligen erlaubte, sich rückwärts aus dem Zimmer zurückzuziehen. Dabei murmelte der junge Spross einer alten Adelsfamilie: „Das werden wir ja sehen …“ Dieter Brückner Eine wichtige Mitteilung 4492_1_1_2013_134_163.indd 135 28.02.13 15:02 Nu r z u Pr üf z ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V rla gs | |
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