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101Positionen „Am Abend des 30. Januar nahmen meine Eltern uns Kinder – meinen Zwillingsbruder und mich – mit in das Stadt zentrum. Dort erlebten wir den Fackelzug, mit dem die Nationalsozialisten ihren Sieg feierten. Etwas Unheimliches ist mir von dieser Nacht her gegenwärtig geblieben. Das Hämmern der Schritte, die düstere Feierlichkeit roter und schwarzer Fahnen, zuckender Widerschein der Fackeln auf den Gesichtern und Lieder, deren Melodien aufpeitschend und sentimental zugleich klangen. Stundenlang marschierten die Kolonnen vorüber, unter ihnen immer wieder Gruppen von Jungen und Mädchen, die kaum älter waren als wir. In ihren Gesichtern und in ihrer Haltung lag ein Ernst, der mich beschämte. Was war ich, die ich nur am Straßenrand stehen und zusehen durfte, mit diesem Kältegefühl im Rücken, das von der Reserviertheit der Eltern ausgestrahlt wurde? […] Und ich brannte […] darauf, mich in diesen Strom zu werfen, in ihm unterzugehen und mitgetragen zu werden.“ Erinnerung von Melita Maschmann (1918 2010), die hauptamtlich in der Hitler-Jugend tätig war „Ich erinnere mich an den Tag der Machtergreifung, wie die Partei die Regierungsübernahme sofort theatralisch bezeichnete. Ich war nicht ganz sieben Jahre alt an diesem Tag, aber ein politisch bewusster Vater und die Tatsache, dass meine Heimatstadt Breslau eine Hochburg der Nationalsozialisten war (im Juli 1932 hatte die NSDAP dort 46 Prozent der Stimmen erzielt), hatten mir früh das Gefühl einer äußeren Gefahr vermittelt. Ich erinnere mich gut an die Zeit der Angst und Ungewissheit, symbolisiert durch die täglichen Märsche der SA-Leute mit ihren Gummiknüppeln, ihren Trommeln und Fahnen, immer bereit zu Zusammenstößen mit dem politischen Gegner, insbesondere den Kommunisten. Ich erinnere mich, wie ich meinen Eltern das einseitig bedruckte Extrablatt brachte, dass Hitler zum Reichskanzler ernannt worden sei. Ich wusste, dass es eine schreckliche Nachricht war.“ Erinnerung von Fritz Stern (*1926), der 1938 mit seinen jüdischen Eltern in die USA auswandern musste, um zu überleben, und dort Historiker wurde Erinnerungen an den 30. Januar 1933 4493_1_1_2014_100_167_kap3.indd 101 09.04.14 13:05 Nu r z u Pr üf zw e ke Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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