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301Neuordnungen der Welt und Deutschlands Wiederveinigung 3 Von Bürgerrechtlern besetzte Stasi-Zentrale in Berlin. Foto vom Februar 1990. ˘ Exkursionstipp: Bildungsund Gedenkstätte Andreasstraße, Erfurt ˘ Internettipps: Zur Arbeit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staats sicherheitsdienstes der ehemaligen DDR siehe www.bstu. bund.de; weitere Informationen über Ursachen, Geschichte und Folgen der SED-Diktatur und der deutschen Teilung siehe www.bundesstiftung-aufarbeitung.de „Wir wollten Gerechtigkeit …“ Bereits im Einigungsvertrag wurde festgelegt, die ostdeutschen Abgeordneten und Mitarbeiter des öffentlichen Diens tes zu überprüfen. Viele Prominente aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Sport wurden als Inoffi zielle Mitarbeiter (IM) der Stasi enttarnt. Damit war ihre Karriere meist beendet. Einige redeten sich heraus, weil die Beweise nicht eindeutig waren. Unter den aus der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr übernommenen Soldaten waren 20 Prozent als IM tätig, bei den Lehrern 4,5 Prozent. Weil dem Rechtsstaat im Gegensatz zur Willkürjustiz der SED-Diktatur enge Grenzen gesetzt sind, blieb die strafrechtliche Ahndung des DDR-Unrechts für die Opfer des SED-Regimes unbefriedigend. Viele zeigten sich enttäuscht über die Ergebnisse der Ermittlungsverfahren und Prozesse. Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley fasste die Stimmung um 1994 so zusammen: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Frühere Unrechtsurteile der DDR-Justiz wurden inzwischen aufgehoben und politische Opfer rehabilitiert. Einige erhielten für Haft und Verfolgung eine geringe staatliche Entschädigung. 2007 beschloss der Bundestag eine Ehrenpension für einen kleinen Kreis armer ehemaliger Häftlinge der DDR. Der neue deutsche Nationalstaat Das wiedervereinigte Deutschland ist gemäß Grundgesetz ein „Nationalstaat des Rechts und der Freiheit“. Er unterscheidet sich wesentlich vom Machtund Obrigkeitsstaat der Vergangenheit. Wichtige Grundlagen wurden in der Weimarer Republik und in der alten Bundesrepublik gelegt, besonders das Konzept des föderalen und sozialen Rechtsstaates. Deutschland setzt sich heute als konstruktives Mitglied von EU, NATO und UNO für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der Welt ein, ohne allerdings seine nationalen Interessen zu verstecken. Vom Westen überrollt? Obwohl Löhne und Gehälter inzwischen weitgehend angeglichen wurden und es den Rentnern in den neuen Bundesländern besser als je zuvor ging, fühlte sich ein Teil der Ostdeutschen durch die radikale po li tische und wirtschaftliche Umstellung ungerecht behandelt. Orientierungslosigkeit, Rechtsradikalismus und DDR-Nostalgie („Ostalgie“) mach ten sich breit – vor allem bei jungen Erwachsenen. Insgesamt sind die Menschen in den neuen Bundesländern mit Demokratie, pluralistischer Gesellschaft und Marktwirtschaft weniger zufrieden als die im Westen. Auch in ihrem Wahlverhalten werden Kritik und Skepsis deutlich. So erreichte die CDU in den neuen Bundesländern bei keiner Bundestagswahl mehr ihr Spitzenergebnis vom Dezember 1990. Die aus der SED hervorgegangene Partei Die Linke veränderte die Parteienlandschaft. Ihr Erfolg im Osten beruht darauf, dass sie die Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher mit den neuen Verhältnissen aufgriff. Das Erbe der Stasi Erst nach dem Ende der DDR bekamen die Bürger Einblicke ins Zentrum des SED-Staates: das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)*. Gigantische Aktenberge (112 Kilometer Akten, das entspricht drei Millionen Büchern von 400 Seiten), zahllose Tonaufnahmen, Fotos, Filme und Geruchskonserven belegen die umfassenden Kontroll und Bespitzelungsaktionen sowie Menschenrechtsverletzungen der Stasi-Mitarbeiter. Die Unterlagen des MfS wurden auf Initiative von Bürgerrechtlern sicher gestellt und einer 1991 geschaffenen Bundesbehörde für die Aufarbeitung der Stasiunterlagen der ehemaligen DDR übertragen. Seit Öffnung des Archives stellten bis Ende 2011 rund 6,7 Millionen Menschen aus den neuen und alten Bundesländern Anträge auf Einsicht in ihre Akten. Erst daraus erfuhren viele, warum sie von der Staatsmacht überwacht worden waren, wer sie verraten und hintergangen hatte. Gleichzeitig belegen diese Akten auch den Widerstandswillen zahlreicher Bürger, die sich nicht von der Stasi anwerben ließen und dafür Nachteile in Kauf nahmen. * Lies nochmals Seite 267. 4493_1_1_2014_272_321_kap6.indd 301 07.04.14 14:19 Nu r z u Pr üf zw ck n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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