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Lerntipp 51 1. Stelle anhand von M 1 die Gründe zusammen, die dafür sprechen, den Ersten Weltkrieg als Epochenwende und „Urkatastrophe“ zu bezeichnen. 2. Arbeite aus M 2 die Kennzeichen des „langen 19. Jahr hunderts“ heraus. Erläutere die Merkmale an histori schen Beispielen. 3. Diskutiert ausgehend von M 3, wann die weltpolitische Zäsur gesetzt werden sollte: mit dem Kriegsbeginn 1914 oder mit dem Jahr 1917? Nutzt dazu auch den Lerntipp auf Seite 45. War 1914 ein Wendepunkt der Geschichte? 5 10 15 20 5 10 5 10 15 M 1 Nichts war nach 1918 noch so, wie es vor 1914 war Der Historiker Wolfgang J. Mommsen untersucht die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die europäische Geschichte: Der Erste Weltkrieg hatte schwer wiegende Auswirkungen auf die europäischen Gesellschaften. Er führte zu tief greifenden sozialen Umschichtungen und zu einer lange anhaltenden Verunsicherung der bürgerlichen Schichten. Dies schuf den Nährboden für den Aufstieg der Faschismen und des Nationalsozialismus, andererseits aber für die Machtergreifung des Bolschewismus zunächst in Russland und späterhin in ganz Osteuropa. […] Vor allem aber wurden die materiellen und ebenso die ideellen Grundlagen der bürgerlichen Kultur Europas, wie sie sich seit der Aufklärung entwickelt hatte, durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen aufs Schwerste erschüttert. […] Im Hinblick auf diese Sachverhalte ist es nur gerechtfertigt, den Ersten Weltkrieg mit George F. Kennan als „Urkatastrophe Europas“* zu bezeichnen. Das bürgerliche Europa, das ungeachtet schwerer sozialer Konfl ikte ein hohes Maß von politischer und sozialer Stabilität sowie vergleichsweise stetigem wirtschaftlichen Wachstum gekannt hatte, gehörte der Vergangenheit an. In der Tat, nichts war nach 1918 noch so, wie es in den letzten Jahrzehnten vor 1914 gewesen war. Wolfgang J. Mommsen, Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt a. M. 2004, S. 7 f. * Der Diplomat und Historiker Kennan hat 1979 als erster den Ersten Weltkrieg als „the great seminal catastrophe of this century“ bezeichnet. M 2 Eine Zivilisation bricht zusammen Für den britischen Historiker Eric J. Hobsbawm markiert der Erste Weltkrieg „den Zusammenbruch der (westlichen) Zivilisation“ des „langen 19. Jahrhunderts“. Den Wandel der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beschreibt er so: Diese Zivilisation war kapitalistisch in ihrem wirtschaftlichen Aufbau, liberal in ihren rechtlichen und konstitutionellen Strukturen, bürgerlich in der Erscheinungsform ihrer charakteristischen tonangebenden oder herrschenden Klasse, stolz in ihrem Glauben an Wissenschaft, Ausbildung, Erziehung und den materiellen wie moralischen Fortschritt und fundamental von Europa als Zentrum überzeugt – als der Geburtsstätte von Revolutionen und Wissenschaften, Künsten, politischen und industriellen Entwicklungen. Und diese Zivilisation hatte ein Wirtschaftssystem hervorgebracht, das in die meisten Teile der Welt eingedrungen war; Soldaten, die die größten Teile der Welt erobert und sich untertan gemacht hatten [...]. Eric J. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 21 (übers. von Yvonne Badal) M 3 Eine weltgeschichtliche Perspektive Der Geschichtswissenschaftler Jürgen Osterhammel blickt unter weltgeschichtlicher Perspektive auf die Epochenbezeichnung „langes 19. Jahrhundert“ und gibt zu bedenken: Welches andere Bild vom 19. Jahrhundert ergibt sich aus einer Betrachtung, die sich nicht auf Europa beschränkt? Als erstes muss betont werden, dass die übliche Annahme eines langen 19. Jahrhunderts, das von den 1780er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg reicht, zwar eine nützliche Annahme und Hilfskonstruktion bleibt, aber nicht als gleichsam natürlich gegebene und weltweit gültige Form der Vergangenheit vorausgesetzt werden sollte. Selbst wenn man nicht kleinlich auf den europäischen Randdaten 1789 und 1914 besteht, so entziehen sich doch ganze National und Regionalgeschichten diesem Raster. […] Eine weltgeschichtliche Periodisierung kann nicht mit den scharfen Zäsurdaten einer einzelnen Nationalgeschichte und selbst der Geschichte Europas arbeiten. Anfang und Ende des 19. Jahrhunderts müssen offen bleiben. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 1284 f. Historiker ordnen im Rückblick den Verlauf geschichtlicher Ereignisse. Sie teilen die Geschichte in verschiedene Epochen oder Perioden ein und machen besondere „Wendepunkte“ aus. Für viele Geschichtswissenschaftler markiert der Erste Weltkrieg eine solche Zäsur (Einschnitt), weil sich mit ihm die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschichte Europas und der Welt stark veränderte. Sie gehen davon aus, dass mit 1914 das sogenannte „lange 19. Jahrhundert“ endete, das mit der Industriellen Revolution in England und der Französischen Revolution in Frankreich Ende des 18. Jh. begonnen hatte. Gleichzeitig markiert der Erste Weltkrieg für sie den Beginn einer neuen Epoche, die sich deutlich von der Zeit vor 1914 unterschied. Mit Blick auf die umfassenden Folgen des Ersten Weltkrieges wird er inzwischen oft als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. 4493_1_1_2014_010_053_kap1.indd 51 07.04.14 13:53 Nu r z u Pr üf z ec ke n Ei ge nt um d e C. C. B uc hn er V rla gs | |
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