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Motive gegeben. Auf die Frage: „Womit genau haben Sie dem Entführer gedroht?“ antwortet er: „Ich hatte persönlich mit ihm keinen Kontakt. Mein Auft rag war, ihn darauf hinzuweisen: Wenn Sie nicht sagen, wo das Kind ist, werden wir Ihnen Schmerzen zufügen müssen.“ Und auf die Nachfrage: „Wäre das, was Sie vorhatten, Folter gewesen?“ sagt er: „Ich spreche nicht von Folter, ich spreche von der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Rettung eines Menschenlebens.“ In einem Nachrichtenmagazin brachte der Polizeibeamte seine Haltung auf den Punkt: „Es ähnelte der Konstellation in einer griechischen Tragödie: Entweder ich verletze die Rechte des Beschuldigten, oder ich verspiele das Leben des Opfers. Bei dieser Güterabwägung war mir klar, was ich tun würde. Ich würde es heute wieder so machen.“ Ein Hauptkommissar erklärte sich bereit, die Anordnung seines Vorgesetzten in die Tat umzusetzen. Zur tatsächlichen Anwendung von Gewalt kam es nicht, die Drohung genügte. Binnen zwanzig Minuten sagte der Entführer aus, wo er das Kind versteckt hatte. Aber die Hoff nung, das Leben des Schülers zu retten, erfüllte sich nicht. Der Entführer hatte den Elfj ährigen schon unmittelbar nach der Entführung getötet. Nach: Hans Holzhaider, Süddeutsche Zeitung, 19.5.2010 Am Freitag, dem 27. September 2002, war ein elfj ähriger Schüler auf dem Heimweg von der Schule entführt worden. Nur wenige Stunden später wurde vor dem Wohnhaus seiner Eltern ein Brief gefunden, in dem der Kidnapper eine Million Euro Lösegeld forderte. In der Nacht zum Montag beobachtete die Polizei einen Mann, der das Lösegeld am vereinbarten Übergabeort abholte. Als klar wurde, dass der mutmaßliche Täter keine Anstalten machte, das Kind aufzusuchen, wurde er festgenommen. Es war ein 27-jähriger Jurastudent. Stundenlang wurde der Entführer vernommen. Das Lösegeld war in seiner Wohnung gefunden worden, auch ein von ihm handgeschriebener Merkzettel über den Ablauf der Entführung. Aber er leugnete hartnäckig. Er führte die Polizei auf falsche Spuren. Man wusste jetzt, dass der Schüler, falls er noch lebte, seit mindestens 36 Stunden ohne Versorgung war. Er war möglicherweise verletzt, er konnte irgendwo in einer Kiste eingesperrt sein und ersticken, er konnte jede Minute an Erschöpfung und Unterkühlung sterben. Das war die Lage, in der sich der zu diesem Zeitpunkt höchste Beamte der Frankfurter Polizei dazu entschloss, dem mutmaßlichen Täter Schmerzen anzudrohen, wenn er das Versteck des Kindes nicht verrate. In mehreren Interviews hat dieser Polizeibeamte selbst Auskun ft über seine 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Kann Unrecht Recht sein? M 1 Aufgaben Diskutieren Sie, gegen welche rechtsstaatlichen Grundsätze der zum damaligen Zeitpunkt h öchste Beamte der Frankfurter Polizei verstoßen hat. (M1) Wägen Sie anhand der Strafzwecke sowie der Rechtsfunktionen ab, ob eine Bestrafung des d amals höchsten Beamten der Frankfurter Polizei notwendig ist (M1). Beziehen Sie in Ihre Antwort die Grundprinzipien des Rechtsstaats mit ein. Erläutern Sie, welche zivilrechtlichen Ansprüche der Entführer haben könnte, gegen wen er diese geltend machen könnte und mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen der damals höchste Beamte der Frankfurter Polizei rechnen muss. (M1) 1. 2. 3. 147 Anwendung und Transfer 82002_1_1_2015_124_147_Kapitel5.indd 147 15.05.15 11:16 N r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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