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131 Wie geht es weiter? Susanne fi ndet bald heraus, was es mit den Gängen und Treppen auf sich hat, doch welche Aufgabe ihr im Hofl eben zugedacht ist, erfährt sie erst, nachdem sie sich in Werner verliebt hat und mit seiner Hilfe das Geheimnis um eine zerbrochene Porzellanfi gur, einen toten Hund und eine vermeintliche „Weiße Frau“ aufdecken konnte. Günther Bentele: Riss im Spiegel. Stuttgart 2006. 368 Seiten Der Roman enthält ein informatives Nachwort, in dem die historischen Fakten, auf denen der Roman beruht, dargestellt werden. der das aber nicht hören sollte – oder doch? – ganz in der Nähe hinter einem Wandschirm lauschte. [...] Ich glaubte zuerst, dass die Bilder in einem Raum für Damen hingen – und da wäre es ja nicht so schlimm. Aber dann entdeckte ich Schnupftabakdosen und Jagdbilder, so war es klar, dass sich in diesen Räumen auch Herren aufhielten und die Bilder sehen konnten. Dass so etwas sein durfte, mitten im Schloss des Herrn Herzogs! Und mein Vater fiel mir ein und unser Herr Pfarrer: Alles des Teufels – Ich schämte mich für diese Frauen, die meist sehr schön waren, dass sie sich so – ich fand gar keinen anderen Ausdruck – so schamlos abmalen ließen. Lumpenburg, hatten sie in Häfnerhaslach2 gesagt. Aber ich dachte auch: Der Herr Herzog ist immerhin der Herr Herzog! Und wer bin ich, dass ich schlecht über ihn denken darf. Es war bitterkalt in diesen prächtigen Räumen. Fast noch kälter als in unserem Dachraum. Ich sah meinen Atem als Wolke vor meinem Gesicht stehen. Kein Laut war zu hören. Alles war regungslos. Dennoch schimmerte und blinkte es geheimnisvoll aus den Kristallen der Kronleuchter und den großen Spiegeln. Ich arbeitete inmitten der größten Pracht und spürte plötzlich mit schmerzhaftem Pochen, dass ich kein Teil davon war. [...] Da hörte ich plötzlich ein Geräusch. Ich fuhr zusammen und hielt den Atem an. Warum denn? [...] Da – wieder das Geräusch, etwas scharrte oder kratzte. Dann knarrte deutlich der Fußboden, etwas war wie das Rascheln von Kleidern. Eine Dienerin? Eine Zofe? Aber woher sollte eine Zofe kommen? Die Herrschaft war doch auf Reisen! Es klang gedämpft, sicher einige Räume entfernt. Dann wieder Stille – ich lauschte weiter atemlos. Mein Blick fi el dabei auf eine Seidentapete mit Vögeln. Es waren dunkle, purpurfarbene Papageien auf Zweigen mit großen Blättern und Blüten. Doch plötzlich war da zwischen den Vögeln eine Türklinke! Woher kam denn hier inmitten der Wand eine Türklinke? [...] Mir schlug das Herz, als ich die Klinke entdeckt hatte, und ich erwartete nun bebend, durch die kleine Türe in ein Zauberreich zu gelangen. Vorsichtig drückte ich die Klinke: Tatsächlich – die Türe öffnete sich, sie führte in eine dunkle Höhlung hinein, schmal, niedrig. Zitternd vor Neugier und Angst ging ich hindurch. Welch ein grausamer Schlag! Als risse mich ein böser Zauberer plötzlich aus dem Schloss, stand ich in einem finsteren Gang. Er war gänzlich kahl, Wände und Decken waren mit einer fl eckigen und schmutzig weißen Tünche überstrichen. Schimmel kroch an den Wänden hinaus. Es war schlimmer als in unserem Schweinestall! Der Gang war so schmal, dass ich die Seitenwände mit den Ellenbogen fast gleichzeitig berühren konnte. Er mündete schon nach einigen zaghaften Schritten in eine Art Kammer. Auch hier war alles kahl und leer bis auf einen rohen gezimmerten Tisch in der Mitte. Ein fast blindes, sehr breites und überhohes Fenster ließ graues Novemberlicht herein. Davor aber erhoben sich nach allen Seiten unabsehbar hoch schwarze Mauern. Mehrere Gänge wie schwarze Augenlöcher führten weg von diesem seltsamen Gelass3. Beklommen ging ich in den ersten der Gänge hinein. Sofort umfi ng mich ein muffi ger Geruch nach Fäulnis und Schimmel und ganz deutlich nach Kot. Eine Treppe schloss sich an, die sehr steil nach oben führte wie eine Hühnerleiter [...]. Diese hier [...] war aus Stein, die Stufen sehr hoch und alles sehr eng, so eng, dass ich kaum Luft bekam. Von der Treppe zweigte bald wieder ein Gang ab, auch er eng, getüncht, fl eckig, die Treppe verlor sich nach oben im Dunkel. [...] Wo war ich? 1 Corps de logis (frz.): Haupttrakt eines Schlosses 2 Häfnerhaslach: Ort in der Nähe von Ludwigsburg (Baden-Württemberg) 3 Gelass: anderes Wort für Zimmer N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h e r V e rl a g s | |
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