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M5 Revolution und Dekadenz? Der in Paris lebende libanesische Schriftsteller Amin Maalouf schreibt 1983 über die Folgen der Kreuzzüge: Während für Westeuropa die Zeit der Kreuzzüge der Beginn einer echten Revolution war, sowohl auf wirtschaftlichem als auch kulturellem Gebiet, folgten diesen Glaubenskriegen im Orient Jahrhunderte der Dekadenz1 und des Obskurantismus2. Die von allen Seiten bedrängte muslimische Welt zieht sich in sich selbst zurück. Sie ist empfi ndlich, intolerant und steril geworden, und alle diese Eigenschaften verstärken sich mit der zunehmenden Weiterentwicklung der übrigen Welt, von der sie sich an den Rand gedrängt fühlt. Fortschritt, das sind jetzt die anderen. Modernität, das sind die anderen. Musste man, um seine kulturelle und religiöse Identität zu bestätigen, diese Modernität, die das Symbol des Westens war, ablehnen? Oder musste man, im Gegenteil, entschlossen den Weg der Modernität beschreiten, auf die Gefahr hin, seine Identität zu verlieren? Weder dem Iran noch der Türkei noch der übrigen arabischen Welt ist es gelungen, aus diesem Dilemma herauszukommen. [...] Man ist oft erstaunt festzustellen, in welchem Maße die Haltung der Araber und der Muslims insgesamt dem Westen gegenüber noch heute von Vorkommnissen beeinfl usst wird, die allgemein als vor sieben Jahrhunderten abgeschlossen gelten. So beziehen sich, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, die politischen und religiösen Führungskräfte der arabischen Welt ständig auf Saladin, auf den Fall Jerusalems und seine Wiedereroberung. In der Volksmeinung und auch in gewissen offi ziellen Reden wird Israel einem neuen Kreuzfahrerstaat gleichgestellt. Von den drei Divisionen der palästinensischen Befreiungsarmee trägt eine heute noch den Namen Hittin3 und die andere Ain Jalout4. [...] Der Suez-Krieg von 19565 wurde wie der von 11916 empfunden, als ein Kreuzzug der Franzosen und Engländer. Amin Maalouf, Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber, München 2003, S. 282 f. 1. Diskutieren Sie die Folgen der Kreuzzüge, die Maalouf beschreibt. 2. Überlegen Sie, inwiefern mit den Kreuzzügen „Geschichtspolitik“ betrieben wird. u Saladin-Denkmal in Damaskus. Foto, 2000. Sultan Saladin, der „siegreiche Herrscher“, wurde durch die Eroberung Jerusalems 1187 und den Sieg über die Kreuzfahrer zu einem Mythos, zum größten aller Helden der muslimischen Welt und vorbildhaften islamischen Herrscher verklärt. In der Altstadt von Damaskus erinnert heute ein Denkmal an Saladins Erfolge im Kreuzzug. 3 Bei Hittin (Hattin) schlug Saladin 1187 die Kreuzfahrer. 4 Bei Ain Jalout in Ägypten besiegten die Türken und kaukasischen Tscherkessen 1260 das mongolische Heer. 5 Vgl. dazu S. 146. 6 Gemeint ist die Einnahme Akkons 1191 durch hauptsächlich französische und englische Kreuzfahrer während des Dritten Kreuzzuges (1189 1192). 1 Dekadenz: Kultureller Niedergang, sittlicher Verfall 2 Obskurantismus: Verdunklung, Unaufgeklärtheit 5 10 15 20 25 30 125Konfl ikte zwischen Christen und Muslimen zur Zeit der Kreuzzüge Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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