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M3 Phasen und Gruppen der „Intifada“ Die französische Politologin Lætitia Bucaille beobachtet das Geschehen während der zweiten „Intifada“ von der palästinensischen Seite aus. In ihrem Buch „Generation Intifada“ von 2002 unterscheidet sie Phasen und Akteure der Aufstandsbewegung: Es lassen sich mehrere Phasen und unterschiedliche Aktionsformen ausmachen. In den ersten Monaten drückt sich der Aufstand im Wesentlichen in Demonstrationen aus, bei denen Jugendliche Steine auf Panzer und gut ausgerüstete Soldaten werfen. Der Tod von palästinensischen Kindern und Jugendlichen scheint sinnlos und der Kampf von vornherein verloren zu sein, aber er schockiert und bewegt die internationale Öffentlichkeit. Das Bild vom Tod des kleinen verängstigten Mohammed Al Durah, der von der israelischen Armee neben seinem Vater erschossen wurde, geht um die Welt.1 Die Bilder zeigen das sehr ungleiche Kräfteverhältnis und den unverhältnismäßigen Einsatz militärischer Mittel durch Israel. Das für die Palästinenser positive Echo in den Medien ist allerdings nur vorübergehend; es zeigt sich, dass sie nur einen scheinbaren Sieg errungen haben, als andere Bilder, wie der Lynchmord an vier Israelis durch eine entfesselte Menge in Ramallah, durch die Medien verbreitet werden. Zudem ist der Einfl uss von Bildern auf die Wahrnehmung der palästinensischen Frage relativ begrenzt, da sie vor allem vorgefasste Meinungen verstärken: Für die einen ist die große Zahl von Kindern und Jugendlichen, die von den Israelis erschossen werden, ein Zeichen für die Verantwortungslosigkeit der palästinensischen Eltern, die ihren Kindern erlauben oder sie sogar ermutigen, die Konfrontation mit der israelischen Armee zu suchen; für die anderen zeigt sich daran die Grausamkeit und Unangemessenheit des israelischen Vorgehens. Die internationale Öffentlichkeit durch die Medien gewinnen zu wollen, ist eine unsichere und schwierige Strategie. Auf nationaler Ebene bekommt die palästinensische Gesellschaft durch den Tod der Steinewerfer den Status eines Opfers, das nicht in der Lage ist, die Besatzungsmacht mit wirksamen Mitteln zu bekämpfen. In einer zweiten Phase, die im April 2001 beginnt, greifen bewaffnete, der Fatah angehörende Gruppen Siedler und Posten der israelischen Armee im Westjordanland und im Gazastreifen an. Trotz einiger gewagter Vorstöße bringt der Einsatz von Waffen wenig, weil die jungen Männer, deren Aktionen nicht koordiniert sind, keine richtige Guerilla bilden. Das harte Vorgehen Israels gegen die Aktivisten schwächt die Bewegung, die für den bewaffneten Kampf eintritt. Die völlige Abriegelung der besetzten Gebiete, die Schließung der Straßen zwischen den palästinensischen Orten, die Wiederbesetzung von Zonen, die schon autonom waren, und die Zerstörung von Häusern sowie zivilen und militärischen Einrichtungen durch Bulldozer und F-16-Flugzeuge stellen eine schwere Belastung für die Zivilbevölkerung dar, die sich dadurch noch weniger mit dem Vorgehen der bewaffneten Gruppen solidarisiert. [...] Die bewaffneten Flügel der islamistischen Organisationen haben die Praxis der Selbstmordanschläge gegen israelische Zivilisten wiederbelebt. Zu Beginn der Intifada werden 1 Die Autorin spielt hier auf das Foto von Jamal Al Durah und seinem sterbenden Sohn Mohammed in Gaza an; siehe oben. i Kinder protestieren vor der Niederlassung der Vereinten Nationen in Beirut gegen die vermeintliche Erschießung von Mohammed Al Durah mit einem Szenenfoto des Fernsehfi lms. Foto vom 18. Oktober 2000. Das Foto zeigt Jamal Al Durah und seinen verblutenden Sohn Mohammed an der umkämpften Nezarim-Kreuzung in Gaza bei einem Schusswechsel zwischen Palästinensern und Soldaten der israelischen Armee. Drei Schüsse sollen das Kind getroffen haben, einer davon tödlich. Bis heute ist nicht erwiesen, ob der Junge von israelischen oder palästinensischen Kugeln erschossen wurde. Ein palästinensischer Kameramann des französischen Fernsehens France 2 drehte die Szene, die weltweit für Empörung sorgte und die israelische Armee als Kindermörder an den Pranger stellte. Im palästinensischen Fernsehen wurde der Film in veränderter Form verbreitet: In die Originalaufnahme wurde ein schießender israelischer Soldat hineinmontiert, der zu einem völlig anderen Zeitpunkt an einer ganz anderen Stelle gefi lmt wurde. Die Szene machte Mohammed Al Durah zum Märtyrer, die Szene zur Ikone der zweiten „Intifada“. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 167„Intifada“ und „Roadmap“: Gefahren und Chancen für den Friedensprozess im Nahen Osten Nu r z u Pr üf zw ck en E ge tu m d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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