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M2 Die Größe Frankreichs Der württembergische Politiker, Journalist, Jurist und Philosoph Paul A. Pfi zer, 1848 Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung, verfasst 1832 seine „Gedanken über das Ziel und die Aufgabe des deutschen Liberalismus“: Freiheit im Innern und Unabhängigkeit nach außen oder persönliche Freiheit und Nationalität sind die beiden Pole, nach denen alles Leben des Jahrhunderts strömt, und die französische Nation ist die erste Nation der Welt geworden, weil sie diese beiden Grundrichtungen der Gegenwart am reinsten in sich aufgenommen hat, in ihrer Unzertrennlichkeit am kräftigsten und entschiedensten der Welt vor Augen stellt. […] Die Nationalunterschiede werden nicht aufhören; aber Nationalität und persönliche Freiheit müssen forthin Hand in Hand gehen, und man sollte endlich anerkennen, dass die ganze Größe Frankreichs darin besteht, das Prinzip der innern Freiheit in ihrer wesentlichen Einheit mit der äußern darzustellen. Es wäre Zeit, dass man sich endlich einmal gestände und klar darüber würde, dass die Franzosen die Führer und Leiter der Zivilisation, das tonangebende Volk in Europa nicht dadurch geworden sind, dass sie die Grundsätze der Freiheit bekennen und predigen, sondern dadurch, dass sie dieselben als Nation bekennen und mit dem ganzen Gewicht ihrer Nationalität unterstützen. Will daher Deutschland in die Schule der Franzosen gehen, so darf die Nachahmung nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Mit den bloßen Grundsätzen bürgerlicher Freiheit […] ist Deutschland noch lange nicht geholfen. Mit allem Freiheitsdrang der Einzelnen werden die Deutschen ewig eine armselige Rolle spielen, und ein mitleidiges Belächeln ihrer schwachen Gutmütigkeit wird im Ausland der ganze Lohn für ihren Enthusiasmus sein, solange sie nicht als Nation die Freiheit wollen, oder gar zu glauben scheinen, dass Abhängigkeit vom Ausland zum Begriff der deutschen Freiheit gehöre. Es ist freilich eine Torheit zu verlangen, dass die Deutschen die innere Freiheit ganz vergessen sollen, bis sie die äußere Unabhängigkeit gesichert haben; es ist aber ebenso verkehrt oder noch verkehrter die letztere der ersten aufopfern zu wollen […]. Im Sinn und Geiste des Jahrhunderts kann aber dasjenige, was Deutschland organisch vereint und den Bund seiner Fürsten in einen Bund der Völker, das diplomatische Staatenbündnis in einen nationalen Bundesstaat verwandelt, nichts anderes als eine deutsche Nationalvertretung sein, und hiezu muss die Anregung und der Hauptanstoß durch den Liberalismus gegeben werden […]. Günther Schönbrunn (Bearb.), Das bürgerliche Zeitalter 1815 1914, Geschichte in Quellen, Bd. 5, München 1980, S. 849 1. Erläutern Sie Pfi zers Frankreich-Bild. 2. Beurteilen Sie seine Argumente vor dem historischen Hintergrund. Bestimmen Sie seinen politischen Standort und die Absichten seiner Schrift. M3 Zwei Nationen Der französische Schriftsteller, Publizist und Politiker Victor Hugo stellt am 1. März 1871 in einer Rede vor der französischen Nationalversammlung Deutschland und Frankreich gegenüber: Von diesen zwei Nationen wird die eine, die Siegerin, Deutschland, die Macht, die Sklaverei, das Soldatenjoch, den Stumpfsinn der Kaserne, den Drill bis in den Geist, ein durch die Einkerkerung der Redner gezügeltes Parlament haben. [...] Diese Nation, die siegreiche Nation, wird einen Kaiser militärischen Zuschnitts und gleichzeitig göttlichen Rechts haben, den um den germanischen Cäsar verdoppelten byzantinischen Cäsar; sie wird die Dienstvorschrift im Dogmenrang, den zum Zepter gemachten Säbel, das mundtot gemachte Wort, das geknebelte Denken, das in die Knie gezwungene Gewissen haben; keine Rednertribüne, keine Presse, die Finsternis! Die andere, die besiegte, wird das Licht haben. Sie wird die Freiheit haben, sie wird die Republik haben, sie wird nicht das göttliche Recht, sondern das menschliche Recht haben; sie wird die freie Rednertribüne haben, die freie Presse, das freie Wort, das freie Gewissen, die stolze Seele! Sie wird die Initiative des Fortschritts haben und bewahren, die Initiierung der neuen Ideen und die Klientel der unterdrückten Rassen (Sehr gut! Sehr gut!). Und während die siegreiche Nation, Deutschland, die Stirn senken wird unter ihrem schweren Helm der Sklavenhorde, wird sie, die besiegte, erhabene [Nation], Frankreich, auf ihrem Kopf ihre Krone eines souveränen Volkes haben. Und die Kultur wird, direkt der Barbarei gegenübergestellt, ihren Weg unter diesen beiden Nationen suchen, von denen die eine das Licht Europas und von denen die andere seine Nacht sein wird. Wilfried Pabst und Karl Ferdinand Werner, Das Jahrhundert der deutschfranzösischen Konfrontation. Ein Quellenund Arbeitsbuch zur deutschfranzösischen Geschichte von 1866 bis heute, Hannover 1983, S. 48 f. 1. Analysieren Sie, welches Selbstbild Frankreichs aus Hugos Gegenüberstellung deutlich wird. Auf welche historischen Traditionen und politischen Ereignisse spielt er an? 2. Erklären Sie die Funktion solcher Gegenüberstellungen für das französische Selbstverständnis. 5 10 15 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 85Deutsche und Franzosen: nationale Fremdund Selbstbilder N r z u Pr üf zw ck e E ge nt um d es C .C .B uc h er V rla gs | |
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