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der so viel Ordnung in seinen Geist und so wenig Ordnung in seine Taten zu bringen versteht; diesem Logiker, der an allem zweifelt; diesem sorgenlosen Arbeitsmenschen; diesem Ofenhocker, der überseeische Gebiete kolonisiert; diesem begeisterten Liebhaber des Alexandriners2, des Fracks, des symmetrischen Gartens, der sich an banalen Chansons ergötzt, gern salopp herumläuft und Grünfl ächen beschmutzt; [...] diesem Jakobiner, der schreit: „Es lebe der Kaiser!“; diesem kleinkarierten Politiker, der die nationale Union zustande bekommt […] — kurz, diesem beweglichen, veränderlichen, widersprüchlichen Volk? — Umgekehrt beunruhigt uns Deutschland, diese Naturgewalt, dieses Bündel mächtiger, aber undurchsichtiger Instinkte; dieses Volk geborener Künstler, das keinen Geschmack hat; diese Techniker, die Feudalherren geblieben sind; dieses Volk kriegerischer Familienväter; dieses Land mit Restaurants, die wahre Tempel sind, mit Fabriken inmitten der Wälder, mit gotischen Palästen für die Verrichtung der Notdurft; dieses Volk von Unterdrückern, die geliebt werden wollen; diese Separatisten3, die blindlings zu gehorchen gewohnt sind; diese Kavaliere, die sich im Bierrausch übergeben;. [...]; diese Kathedralen, deren buntes Hauptschiff edle Bögen vereint und voll nuancierter Töne ist, eine Symphonie für die Sinne, für den Gedanken, für die Seele und Bewegung, Licht und Religion der Welt ausdrückt — deren fi nsteres Querschiff dagegen von barbarischen Tönen widerhallt und Augen, Geist und Herz verletzt. Wilfried Pabst und Karl Ferdinand Werner, a. a. O., Nr. 46, S. 94 ff. 1. Erläutern Sie, wie de Gaulle das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen begründet. Welche Bedeutung kommt dabei den Bezeichnungen „Gallier“ und „Germanen“ zu? 2. Arbeiten Sie die „gegensätzlichen Temperamente“ heraus und stellen Sie sie gegenüber. Erklären Sie die Beispiele und suchen Sie nach historischen Anknüpfungspunkten. Vergleichen Sie mit Ihren Ergebnissen aus M4. M8 „Herstellung einer organischen Ordnung in Europa“ Der Sieg über Frankreich 1940 gibt einem im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht schreibenden Verfasser willkommenen Anlass zur historischen „Abrechnung“ mit Frankreich. Er bedient damit zugleich ein verbreitetes Geschichtsbild: Frankreich hat in dem Gedeihen Deutschlands stets eine Bedrohung seiner eigenen Existenz oder mindestens der von ihm beanspruchten Vormachtstellung in Europa gesehen [...]. Damit ergibt sich von der Scheidung des Reiches Karls des Großen in zwei Hälften im Vertrag von Mersen (870) bis auf unsere Tage die aggressiv feindliche Haltung des nach dem Rhein und mit ihm nach der Hegemonie in Europa strebenden Westreiches gegen das Reich der Mitte. Die Schicksalhaftigkeit dieser Konfl ikte und die Folgerichtigkeit der französischen Politik wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass, kaum dass es ein „Frankreich“ gibt, dessen elementarer Gegensatz gegen das Ostfrankenreich zum Ausdruck kommt. Schon wenige Jahre nach Mersen führt Karl der Kahle seine Vasallen in den Kampf gegen die Söhne Ludwigs des Deutschen und lässt diesen sagen, er käme mit so vielen Pferden, dass sie den Rhein aussaufen könnten. Seine Niederlage bei Andernach (876), die erste blutige Auseinandersetzung zwischen Deutsch und Welsch, rettet dem Reich der Deutschen den Rhein. Aber die französischen Aspirationen1 bleiben die gleichen. Von Andernach bis Versailles führt ein gerader Weg. Je mehr sich Frankreich zum imperial gerichteten Einheitsstaat ausformt, desto drängender wird sein Wunsch nach den „klassischen“ Grenzen des cäsarischen Galliens, desto nachdrücklicher strebt es danach, den Rhein zu beherrschen und das auf das Ostufer des Stromes verwiesene Deutschland in einen Zustand der Ohnmacht zu versetzen. Denn darin sieht es die einzig denkbare Befriedigung des Strebens nach Sicherheit, das keine moderne französische Dekadenzerscheinung2 ist, sondern den Franzosen im Blut steckt [...]. Frankreich, das sich so gerne seiner Abkunft von Karl dem Großen erinnert, ist sich nie bewusst geworden, dass ihm aus dem Erbe des großen Frankenkaisers das gewichtigste Gut nicht zuteil geworden ist: die europäische Verantwortung, die Deutschland als dem Kolonisator des europäischen Herzlandes und dem Beschützer des Erdteils gegen die Stürme aus dem Osten als unveräußerliche geschichtliche Aufgabe zufi el. Die Methode, die Frankreich die Vorherrschaft sichern sollte, war die Schaffung und Erhaltung einer europäischen 2 Alexandriner: in Frankreich entwickeltes Versmaß 3 Separatist: Anhänger des Separatismus, dem Streben nach staatlicher Absonderung 1 Aspiration: Bestrebung, ehrgeiziger Plan 2 Dekadenz: kultureller Niedergang, sittlicher Verfall 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 30 35 89Deutsche und Franzosen: nationale Fremdund Selbstbilder Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc h er V rla gs | |
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