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Nationalsozialismus: Staatsterror oder Volksgemeinschaft? M2 Spiel des Anprangerns, Ausgrenzens und „Erledigens“ Der kanadische Historiker Robert Gellately lehrt und forscht an verschiedenen amerikanischen Universitäten, auch am Center for Holocaust Studies in den USA. In seinen Werken geht er immer wieder auf die Loyalität zahlreicher Deutscher zum System des Nationalsozialismus ein: Zustimmung und Zwang (waren) während des gesamten Dritten Reiches aufs engste miteinander verknüpft, was zum Teil daran lag, dass Zwang und Terror meistens gegen bestimmte Individuen, Minderheiten und soziale Gruppen eingesetzt wurde, gegen die das Volk wenig Sympathie hegte. Zwang und Terror waren höchst selektiv und regneten jedenfalls nicht gleichmäßig auf die Köpfe der deutschen Bevölkerung herab. Anfang 1933 begannen Polizei und SA, Köpfe einzuschlagen, und es wurden neue Konzentrationslager errichtet, aber kaum mehr als eine Miniwelle des Terrors ging über Deutschland hinweg. Im Großen und Ganzen bedurfte es des Terrors nicht, um die Mehrheit – oder auch signifi kante Minderheiten – in Reih und Glied zu zwingen. […] Ich behaupte […], dass ab 1933 die Zustimmung zu Hitler und immer mehr auch zum Nationalsozialismus praktisch niemals infrage stand. […] Man muss sich vor der Annahme hüten, ganz Deutschland habe einem militärischen Ausbildungslager geglichen, in dem die Menschen der Doppelbeeinfl ussung von Propaganda und Terror unterworfen sind. Man hat wenig von der nationalsozialistischen Propaganda begriffen, wenn man sie sich als Gehirnwäsche oder reine Manipulation der Gefühle vorstellt. […] Die nationalsozialistische Propaganda sollte und konnte dem deutschen Volk nicht auf primitive Weise aufgezwungen werden. Im Gegenteil, sie sollte es ansprechen und deutschen Denkweisen gerecht werden. […] Noch bis vor Kurzem betonte die Geschichtswissenschaft die Passivität der deutschen Bürger im Dritten Reich und tat so, als sei der nationalsozialistische „Polizeistaat“ dermaßen allgegenwärtig gewesen, dass er der Initiative der Bürger über Zeremonien und Rituale hinaus wenig Spielraum gelassen habe. Heute wissen wir, dass vielleicht nicht alle Bürger mit allem einverstanden waren, auch was bestimmte Aspekte der Verfolgung von Juden und Fremdarbeitern in Deutschland betraf, dass aber das Regime keine Mühe hatte, die Bevölkerung zur Denunziation von Verstößen gegen das rassistische System zu animieren. Das Liefern von Informationen an Polizei oder Partei gehörte zu den wichtigsten Beiträgen des staatsbürgerlichen Engagements im Dritten Reich. Immerhin war es eine Sache, neue Gesetze und Verordnungen zu erlassen und die Bestimmungen von oben her zu verkünden, aber eine ganz andere, sie in der Gesellschaft als Ganzer durchzusetzen. Es war ein charakteristisches Merkmal des Dritten Reiches (durch das es sich zum Beispiel vom faschistischen Italien unterschied), dass das Regime keine Mühe hatte, sich die Kollaboration normaler Bürger zu sichern. […] Die Nationalsozialisten beanspruchten, sich der Schaffung der „Volksgemeinschaft“ verschrieben zu haben. In dem Bestreben, diese „Volksgemeinschaft“ zu schmieden, deren Fundament eine irrwitzige Logik der Gleichheit, Reinheit und Homogenität war, verstrickten sich die Nationalsozialisten wie das deutsche Volk insgesamt in ein mörderisches Spiel des Anprangerns, Ausgrenzens und schließlich „Erledigens“ von unerwünschten sozialen „Elementen“ und „Volksfeinden“. Das begann damit, dass viele normale Bürger (mitunter aus selbstsüchtigen Gründen) die Einteilung zu handhaben lernten, wer zur „Volksgemeinschaft“ dazugehörte und wer nicht. Robert Gellately, Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk, Bonn 32005, S. 14, 15, 359 und 362 f. 1. Zeigen Sie anhand von M1 und M2 die Kontroverse mit ihren jeweiligen Begründungen, aber auch Gemeinsamkeiten in der Einschätzung auf. 2. Überprüfen Sie M1 und M2 anhand der Informationen im Darstellungstext auf den Seiten 92 bis 121 (Sachurteil). 3. Der Nationalsozialismus: Staatsterror oder Volksgemeinschaft? Nehmen Sie Stellung. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 123 i Unvollendete Volksgemeinschaft. Während eines Stapellaufes des Marineschulschiffes Horst Wessel auf der Hamburger Werft Blohm & Voss verweigert ein Arbeiter, vermutlich hieß er August Landmesser, den „Hitlergruß“. Foto vom 13. Juni 1936. p Informieren Sie sich im Internet über Landmesser und diskutieren Sie anschließend mit Blick auf die hier vorgestellten Materialien die Frage, welche Möglichkeiten der Zustimmung oder Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes die Deutschen in den 1930er-Jahren hatten. Nu r z u rü fzw e en Ei ge tu m d s C .C Bu ch ne r V rla gs | |
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