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25Faschismus und autoritäre Regime in Europa: die Beispiele Italien, Spanien, Polen und Ungarn M1 Mussolini spricht im Parlament über Gewalt Nach der Ermordung des Generalsekretärs der Sozialistischen Partei, Giacomo Matteotti, durch faschistische Schwarzhemden am 10. Juni 1924 macht die politische Linke die Regierung für die Gewalttat verantwortlich. Nach langem Zögern übernimmt Mussolini am 3. Januar 1925 in einer Rede vor dem Parlament die politische Verantwortung für den Mord. Wenige Tage nach diesen Äußerungen trifft eine Welle des Terrors die Gegner der Faschisten (Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Organisationsverbote etc.). Das faschistische Regime wird nun zur offenen Diktatur: [Seit Juni 1924 habe es eine Pressekampagne der Opposition gegeben:] Eine schmutzige und infame Kampagne, die uns drei Monate lang entehrt hat (heftiger, lang andauernder Applaus). […] Nun, ich erklärte jetzt vor dieser Versammlung und gegenüber dem gesamten italienischen Volk, dass ich, und zwar ich alleine, die politische, moralische und historische Verantwortung für all das übernehme, was geschehen ist (sehr heftiger und wiederholter Applaus. Viele Stimmen riefen: Wir folgen Dir, wir alle!). […] Wenn der Faschismus nur Rizinusöl und Gummiknüppel geworden ist und nicht vielmehr die höchste Leidenschaft der besten italienischen Jugend, dann ist es meine Schuld (Applaus)! Wenn der Faschismus eine Verbrecherbande geworden ist, dann bin ich das Haupt dieser Verbrecherbande (heftiger Applaus)! […] Wenn sich zwei Elemente im Kampf miteinander befi nden und nicht nachgeben wollen, dann ist Gewalt die einzige Lösung. […] Meine Herren, Italien will Frieden und Ruhe, um ungestört arbeiten zu können. Wir werden ihm Ruhe und ungestörte Arbeit sichern – wenn möglich mit dem Mittel der Liebe, wenn nötig mit Gewalt (lebhafter Applaus). Seien Sie gewiss, meine Herren, dass die Lage innerhalb von 48 Stunden nach dieser Rede vollständig geklärt sein wird. Renzo De Felice (Hrsg.), Autobiografi a del fascismo. Antologia di testi fascisti 1919 1945, Turin 2004, S. 205 (übersetzt von Michael Mayer) 1. Skizzieren Sie, mit welchen Argumenten Mussolini in seiner Rede die angekündigten Gewaltmaßnahmen gegen die politischen Gegner der Faschisten vorab rechtfertigt. 2. Erklären Sie, weshalb das Parlament den Ausführungen Mussolinis mit großer Mehrheit zustimmt. 3. Diskutieren Sie die Funktion der Ironie, die Mussolini in seiner Rede verwendet. Welche Wirkung wird dadurch erreicht? M2 Die Verfolgung der Juden in Italien Bis Ende der Zwanzigerjahre werden Juden in der faschistischen Bewegung in Italien mit höheren Ämtern betraut, obwohl es auch im italienischen Rechtsextremismus eine antisemitische Strömung gibt. Einzelne Juden in antifaschistischen Widerstandsgruppen scheinen den Antisemiten Beleg dafür, dass Juden generell gegen den Faschismus eingestellt seien: Mussolinis erster Aufruf zu erhöhter Wachsamkeit gegenüber den Juden datiert vom Februar 1938. An den Universitäten, in der Verwaltung, in der freien Wirtschaft und im Kulturleben sollte der Anteil der Juden auf ihren tatsächlichen Bevölkerungsanteil herabgedrückt werden. Ein im Juli veröffentlichtes, vom „Duce“ 1 redigiertes „Manifesto degli scienziati razzisti“2 schloss die Juden kategorisch von der „razza italiana“3 aus. Es folgten eine Reihe von Maßnahmen, die den Alltag der italienischen Juden radikal veränderten. Jüdische Schüler und Lehrer mussten italienische Schulen verlassen. In Italien lebende ausländische Juden wurde der Status des italienischen Staatsbürgers aberkannt; sie mussten das Land innerhalb von sechs Monaten verlassen. Im Oktober 1938 defi nierte der Gran Consiglio del Fascismo in einer „Erklärung über die Rasse“ Juden als Personen, die einen jüdischen Vater und eine jüdische Mutter hatten; die Religion spielte dabei keine Rolle. Sie wurde hingegen dann wichtig, wenn jemand aus einer „Mischehe“ stammte: War er getauft, galt er als Italiener; andernfalls wurde er als Jude eingestuft. Im Unterschied zu Deutschland gab es demnach in Italien keine Halb-, Viertel und Achteljuden. Ein Gesetz zum Schutz der italienischen Rasse (Provvedimenti per la difesa della razza italiana) vom 17. November 1938, das eine Woche nach dem großen Judenpogrom in Deutschland verabschiedet wurde, bündelte die bisher erlassenen Maßnahmen und führte neue diskriminierende Regelungen ein. Fortan durften Juden nur noch Juden heiraten; bestehende ,Mischehen‘ sollten aufgelöst werden; Juden war der Dienst in den Streitkräften und eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst verwehrt, ebenso die Mitgliedschaft im Partito Nazionale Fascista4. Dazu kamen drastische Beschränkungen im Wirtschaftsleben. Juden durften keine größeren Firmen mehr leiten und keine Grundeigentümer mehr sein, wenn der Besitz 50 Hektar überstieg. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914 1945, München 2011, S. 824 f. 1 italienisch für „Führer“; Bezeichnung für Mussolini 2 italienisch für „Manifest der rassistischen Wissenschaftler“ 3 italienisch für „italienische Rasse“ 4 italienisch für „National-Faschistische Partei“ 5 10 15 20 5 10 15 20 25 30 35 Nu r z P rü fzw ec ke n Ei g nt um d e C .C .B uc hn r V er la gs | |
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