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31Vergleich des italienischen Faschismus mit dem deutschen Nationalsozialismus gebung erwarten ließen. Dies wiederum zeigt auch, dass sich die Italiener stärker anderen Loyalitäten und Interessen, z. T. kulturell verankerten und partikularistischen Bindungen, verpfl ichtet fühlten, und weniger loyal zur faschistischen Partei waren […] Zugleich dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, bis zu welchem Grad die jeweiligen politischen Systeme in den einzelnen historischen Phasen die totalitäre Utopie – zum Bösen wie zum Guten – umgesetzt haben und wie stark sich ideologischer Anspruch und politische Realität unterscheiden. […] In Italien war trotz starker Tendenzen zum Totalitarismus der Terror eingeschränkter. Ausnahmen waren die Jahre des Kampfes um die Macht und in der kurzen Periode der „Republik von Salò“ (1943-1945)2. Das „Sondertribunal zur Verteidigung des Staates“ verurteilte insgesamt 33 Personen zum Tode (davon wurden 22 hingerichtet) und klagte 5619 Personen an, wovon 4596 zu durchschnittlich fünf Jahren verurteilt wurden. Das Ausmaß der Repression ist in einigen Regimen, die dem totalitären Modell weit weniger nahekamen als Italien, unbestreitbar größer gewesen. Juan José Linz, Totalitäre und autoritäre Regime, Berlin 2003, S. 22 und 65 M3 Tendenziell totalitärer Faschismus Der Historiker Wolfgang Schieder hat sich in seinen Werken mit der italienische Geschichte und mit der vergleichenden Faschismusforschung eingehend auseinandergesetzt und kommt zu folgendem Ergebnis: Mussolinis Staat wird in der modernen Totalitarismusforschung in der Regel nicht als totalitäres Regime angesehen. Ich bin demgegenüber der Auffassung, dass zwischen italienischem und deutschem Faschismus nur ein gradueller, kein grundsätzlicher Unterschied bestand. […] Die Umwandlung der ursprünglichen, sowohl in Italien wie in Deutschland eingerichteten faschistischen Vermittlungsdiktatur in ein totalitäres faschistisches Regime vollzog sich in drei Stufen. In einer ersten ging es um die Beseitigung aller demokratischen Institutionen und die Ausschaltung und Verfolgung der Gegner des Faschismus. Die zweite Stufe bestand in der Disziplinierung der eigenen Bewegung und dem Verzicht auf die „zweite Welle“ der Revolution. Der dritte und letzte Schritt war getan, wenn es dem Diktator gelang, auch die konservativen Bündnispartner zu entmachten. […] Da Mussolinis Diktatur nicht die letzte totalitäre Stufe erreichte, wird oft übersehen, dass das faschistische Italien, wenn auch mit einigen charakteristischen Abweichungen, auf der ersten Stufe ebenfalls weitgehend gleichgeschaltet wurde […] Auch das faschistische Italien war dessen ungeachtet ein Polizeistaat. Mussolini setzte zwar in noch stärkerem Maße als Hitler auf Massenkonsens, aber das Pendant dieser KonsensStrategie war auch für ihn die Repression. Er suchte den Konsens, aber er sagte schon am 7. März 1923: „Wenn der Konsens fehlen sollte, dann gibt es die Gewalt.“ Und dies war, wie sich seit 1925 herausstellen sollte, keineswegs bloße Rhetorik. Das Unterdrückungssystem Mussolinis war zwar insgesamt bei weitem nicht so effi zient wie das Hitlers; aber auch Mussolini bediente sich seiner Terrorinstrumente. […] Im eigenen Land führte das faschistische Regime statt der Konzentrationslager für politische Gegner das zwar im ganzen viel mildere, in der Einzelwirkung aber nur zu oft grausame Mittel des Confi no, der polizeilich verordneten Verbannung (meist auf isolierte Mittelmeerinseln), ein. Im 1939 besetzten Albanien und während des Zweiten Weltkrieges in Jugoslawien bedienten sich die italienischen Faschisten auch des Konzentrationslagers als eines politischen Unterdrückungsmittels. Der italienische Faschismus war zwar schließlich in seinem Ursprung nicht antisemitisch orientiert, aber doch in jedem Falle in rassistisch. Wie für jeden Faschismus war auch und gerade für den italienischen ein durchaus sozialdarwinistisch begründeter Rassismus typisch. […] Wir wissen heute, dass die den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935 vergleichbare antisemitische Rassengesetzgebung von 1938 nicht auf direkte deutsche Einwirkung hin zustande kam, sondern dem eigenen Willen des faschistischen Diktators entsprang. […] Zu einer organisierten Massenvernichtung der Juden ist es unter dem italienischen Faschismus allerdings nicht gekommen. Die italienischen Juden wurden von den Italienern ins Ghetto zurückverbannt, nicht aber vernichtet. Hierin besteht ein deutlicher Unterschied zwischen dem nur tendenziell totalitären Faschismus in Italien und dem in Deutschland. Wolfgang Schieder, Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, S. 389 393 1. Zeigen Sie anhand von M1, M2 und M3 die Kontroverse mit ihren jeweiligen Begründungen, aber auch Gemeinsamkeiten in der Einschätzung auf. 2. Vergleichen Sie den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus aus der Perspektive eines zeitgenössischen politisch oder rassisch Verfolgten. 3. Überprüfen Sie die Aussagen in M1, M2 sowie M3 anhand der Informationen im Darstellungstext Seite 19 und 20 (Sachurteil). 4. Italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus – vergleichbare Regime? Nehmen Sie Stellung. 10 15 20 25 20 25 30 35 40 45 50 2 Republik von Salò: faschistischer Staat in Norditalien unter der militärischen Protektion des nationalsozialistischen Deutschland 5 10 15 N r z u Pr üf zw ck en Ei g tu m d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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