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156 Erinnern Die Revolution von 1848/49 im Spiegel der Geschichtskultur Feierund Gedenktage sind ein fester Bestandteil im Jahresablauf. Sie verdeutlichen das kulturelle und politische Selbstverständnis eines Landes, denn sie zeigen, wie ein Land und seine Bürger mit ihrer Geschichte umgehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik der 18. Mai genutzt, um der Revolution von 1848/49 zu gedenken. An diesem Tag im Jahr 1848 wurde die Nationalversammlung in der Paulskirche eröffnet – so stellt sich die Bundesrepublik bewusst in eine parlamentarische Tradition. In der DDR und West-Berlin wurde dagegen der 18. März – der Tag der Barrikadenkämpfe 1848 – zum Gedenktag und so der revolutionäre Aspekt der Ereignisse von 1848/49 hervorgehoben. Zwar konzentrieren sich Gedenktage im vereinigten Deutschland auf die mahnende Erinnerung an das nationalsozialistische Unrechtsregime und die deutsch-deutsche Geschichte, doch 1998, zum 150. Jubiläum, rückte auch die Revolution von 1848/49 wieder in das Blickfeld des öffentlichen und staatlichen Interesses . M1 „Aber bitte nicht Preußen …“ Der Historiker Dieter Langewiesche lehnt in einem Interview den Vorschlag eines nationalen Gedenktages am 18. März ab: „Ich halte nichts von dem Vorschlag. Man kann nicht ein vor allem preußisches Datum zu einem Gedenktag für ganz Deutschland machen.“ Zwar sei der Gedanke, den Geburtstag der deutschen Demokratie auf das Jahr 1848 zu legen, nicht falsch. „Damals wurde erstmals versucht, einen gesamtdeutschen Nationalstaat mit einer liberaldemokratischen Verfassung zu schaffen.“ Aber die Berliner Ereignisse vom 18. März seien für einen gesamtdeutschen Gedenktag – wenn man einen solchen denn wolle – nicht geeignet. […] Für Langewiesche wären dagegen zwei andere 48er-Tage als Gedenkdatum vorstellbar: zum einen der 18. Mai, als die Frankfurter Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, zum anderen der 27. Dezember, als dieses Parlament die Grundrechte verabschiedete. Für den 18. Mai spricht nach Ansicht des Geschichtsprofessors, dass er „das Hoffnungsdatum der Liberalen und Demokraten“ gewesen sei. Für den Dezembertag spreche, dass mit dem in der Paulskirche verabschiedeten Grundrechtskatalog „etwas Markantes geschaffen wurde, auf das man bei späteren Staatsgründungen zurückgriff. Sowohl die Weimarer Verfassung als auch das Grundgesetz der Bundesrepublik sind diesen Grundrechten von 1848 verpfl ichtet.“ Albert Funk, Aber bitte nicht Preußen … Berlin will den 18. März zum Demokratie-Tag erklären. Die Länder blockieren, in: Der Tagesspiegel, 15. Juli 2008 1. Geben Sie die Position und die Argumente des Historikers Dieter Langewiesche wieder. 2. Nehmen Sie Stellung zu dessen Position. M2 „Am Grundstein der Demokratie“ In seinen einleitenden Worten zur 15. Bundesversammlung am 18. März 2012 macht Bundestagspräsident Norbert Lammert folgenden Vorschlag: Wenn wir uns in Deutschland auf die revolutionären Ursprünge unserer Demokratie berufen, reicht der historische Blick meist kaum weiter zurück als bis zur verfassunggebenden Nationalversammlung, die erstmals am 18. Mai 1848 in Frankfurt zusammentrat. Dabei gibt es natürlich eine Vorgeschichte: Der Barrikadenkampf, der am 18. März 1848 in Berlin begann, war ein gewaltiger, auch gewalttätiger Schritt auf dem Weg zur Demokratie in Deutschland. Die deutsche Geschichte weckt bis heute noch häufi g mehr ein Bedürfnis nach Distanz denn dem Wunsch nach Identifi kation. Die deutsche Geschichte hat aber weder 1933 begonnen, noch war sie 1945 zu Ende. Ein angemessenes und würdiges Gedenken an die deutschen Freiheitstraditionen ist nicht nur für einen ehrlichen Umgang mit der eigenen Geschichte unverzichtbar, sondern auch konstitutiv für das Selbstverständnis der Nation und ihre demokratische Traditionsbildung. Das nationale Gedächtnis lässt sich in einer demokratisch und damit pluralistisch verfassten Gesellschaft natürlich weder amtlich formulieren noch durch eine Behörde regeln; die Erinnerungskultur eines Landes muss wachsen. Der Staat kann aber Zeichen setzen. Deshalb spricht manches dafür, den 18. März zu einem nationalen Gedenktag in unserem Land zu machen. Der 18. März zählt zu den deutschen Schicksalstagen, an denen sich die deutsche Geschichte verdichtet hat. Mit diesem Datum verbinden sich 5 10 15 20 5 10 15 20 25 Erinnern 4677_1_1_2015_128-157_Kap4.indd 156 17.07.15 12:02 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um es C .C .B uc h er V er la gs | |
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