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188 Politische und ideologische Voraussetzungen des Nationalsozialismus Belastete Friedensordnung: „Versailles“ als Diffamierungsparole Am 18. Januar 1919 wurde in Versailles bei Paris die Friedenskonferenz ohne Beteiligung der Besiegten eröffnet. Auf ihr sollte die Nachkriegsordnung in Europa festgelegt werden. Am 7. Mai 1919 wurde der deutschen Delegation der fertige Vertrag mit 440 Artikeln, darunter die Völkerbundsatzung, vorgelegt: Deutschland verlor im Westen, Osten und Norden des Reiches 13 Prozent des Staatsgebietes sowie rund zehn Prozent der Bevölkerung. Es musste alle seine Kolonien aufgeben und weitgehende militärische Beschränkungen akzeptieren. Ferner sollten für die Kriegsschäden der anderen Mächte Ausgleichszahlungen (Reparationen) in noch festzulegender Höhe erbracht werden. Die Bestimmungen des Friedensvertrages lösten in der deutschen Öffentlichkeit Empörung und Proteststürme aus. Vor allem der Artikel 231 des Vertrages, der sogenannte Kriegsschuldartikel, wurde in Deutschland als moralische Ächtung des ganzen Volkes empfunden.* Als die deutschen Einsprüche erfolglos blieben, trat die Regierung um Philipp Scheidemann im Juni 1919 zurück. Um das Ultimatum der Alliierten zu erfüllen, wurde die neue Regierung von der Nationalversammlung beauftragt, den Vertrag zu unterschreiben. Den Politikern, die sich unter dem Druck der Verhältnisse dazu bereit erklärt hatten, gestanden anfänglich alle Parteien ehrenhafte Motive zu. Doch schon bald wurde der Versailler Vertrag von der äußersten Rechten bis hin zur Sozialdemokratie wegen des Kriegsschuldartikels und der umfangreichen Reparationen als ein „Diktat“ und „Schandfriede“ abgelehnt. Republikfeindliche Kräfte nutzten die Vorbehalte der Bevölkerung aus, um mit Kampfparolen wie „Heerlos! Wehrlos! Ehrlos!“ gegen die Republik zu hetzen und die „Erfüllungspolitiker“ zu beschimpfen. „Versailles“ wurde zur Diffamierungsparole schlechthin, die Republik für die Belastungen des Friedensvertrages verantwortlich gemacht. Der Vorwurf der „Erfüllungspolitik“ wurde von den Rechten in den folgenden Jahren gegen alle außenpolitischen Schritte der Regierung erhoben, die auf die Einhaltung oder Neuregelung der Vertragsbestimmungen zielten. Republikaner ohne Mehrheit? Innenpolitisch sah sich die Republik weiteren Belastungen und Herausforderungen ausgesetzt. Von Anfang an waren im Reichstag nicht nur staats tragende, demokratisch gesinnte Politiker vertreten. Nur drei der zahlreichen Parteien bekannten sich ausdrücklich zur parlamentarisch-demokratischen Republik und hatten maßgeblich an der Weimarer Verfassung mitgearbeitet: die SPD, die DDP und das Zen trum – die Parteien der Weimarer Koalition. Die SPD ging bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 und bei den Reichstagswahlen bis 1930 jeweils als stärkste Kraft hervor, erreichte jedoch nie die absolute Mehrheit. Bis zum Ende der Republik war sie auf Reichsebene mit wenigen Ausnahmen in der Opposition. Die linksliberale DDP vertrat vor allem das Bildungsbürgertum, Kaufl eute, Beamte und Angestellte. Neben der SPD war sie die Partei, die sich am entschiedensten zur Weimarer Republik bekannte. Mit Walther Rathenau stellte die DDP 1922 den Außen Belastungen und Herausforderungen, Träger und Gegner der Weimarer Republik Philipp Scheidemann (1865 1939): SPD-Politiker; unter Max von Baden 1918 Staatssekretär; 1919 Reichskanzler Walther Rathenau (1867 1922, ermordet): Großindustrieller und liberaler Politiker, 1918 Mitbegründer der DDP, 1921 Reichsminister für Wiederaufbau, 1922 Reichsaußenminis ter * Vgl. dazu S. 461. Literaturtipp: Gunther Mai, Die Weimarer Republik, München 22014 4677_1_1_2015_184-217_Kap6.indd 188 17.07.15 12:05 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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