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194 Politische und ideologische Voraussetzungen des Nationalsozialismus M2 „So ist der deutsche Parlamentarismus“ Oswald Spengler, dessen pessimistische Kulturund Geschichtsphilosophie nach dem verlorenen Krieg vom deutschen Bürgertum begeistert gelesen wird, ist ein entschiedener Gegner des Parlamentarismus und der Parteien. 1924 schreibt er: Über den Trümmern der deutschen Weltmacht, über zwei Millionen Leichen umsonst gefallener Helden, über dem in Elend und Seelenqual vergehenden Volke wird nun in Weimar mit lächelndem Behagen die Diktatur des Parteiklüngels aufgerichtet, derselben Gemeinschaft beschränktester und schmutzigster Interessen, welche seit 1917 unsere Stellung untergraben und jede Art von Verrat begangen hatte, vom Sturz fähiger Leute ihrer Leistungen wegen bis zu eigenen Leistungen im Einverständnis mit Northcliffe1, mit Trotzki2, selbst mit Clemenceau3. […] Nachdem sich die Helden der Koalition vor dem Einsturz in alle Winkel gefl üchtet hatten, kamen sie mit plötzlichem Eifer wieder hervor, als sie die Spartakisten allein über der Beute sahen. Aus der Angst um den Beuteanteil entstand auf den großherzoglichen Samtsesseln und in den Kneipen von Weimar die deutsche Republik, keine Staatsform, sondern eine Firma. In ihren Satzungen ist nicht vom Volk die Rede, sondern von Parteien; nicht von Macht, von Ehre und Größe, sondern von Parteien. Wir haben kein Vaterland mehr, sondern Parteien; keine Rechte, sondern Parteien; kein Ziel, keine Zukunft mehr, sondern Interessen von Parteien. Und diese Parteien […] entschlossen sich, dem Feinde alles, was er wünschte, auszuliefern, jede Forderung zu unterschreiben, den Mut zu immer weitergehenden Ansprüchen in ihm aufzuwecken, nur um im Inneren ihren eigenen Zielen nachgehen zu können. […] So ist der deutsche Parlamentarismus. Seit fünf Jahren keine Tat, kein Entschluss, kein Gedanke, nicht einmal eine Haltung, aber inzwischen bekamen diese Proletarier Landsitze und reiche Schwiegersöhne, und bürgerliche Hungerleider mit geschäftlicher Begabung wurden plötzlich stumm, wenn im Fraktionszimmer hinter einem eben bekämpften Gesetzantrag der Schatten eines Konzerns sichtbar wurde. Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, München 1924, S. 8 f. 1. „Diktatur des Parteiklüngels“. Stellen Sie die Diffamierungen zusammen, mit denen Spengler die Weimarer Republik und ihre Politiker charakterisiert. 2. Rezensieren Sie Spenglers Darstellung für eine liberale oder sozialdemokratische Zeitung. H Suchen Sie Argumente, die Spenglers Behauptung, die Weimarer Republik habe seit „fünf Jahren keine Tat, kein[en] Entschluss, kein[en] Gedanke[n], nicht einmal eine Haltung“ (Zeile 26 f.) gezeigt, widerlegen können. M3 Die Sühne der politischen Morde 1918 1922 1 Lord Alfred Northcliffe (1865 1922): englischer Pressemagnat, der durch eine Pressekampagne die Reduzierung der deutschen Reparationslasten verhinderte 2 Leo Trotzki (1879 1940): russischer Revolutionär. Er war einer der führenden Köpfe der russischen Revolution von 1917. 3 Georges Clemenceau (1841 1929): französischer Ministerpräsident. Bei der Friedenskonferenz 1919 in Versailles trat er als entschiedener Gegner Deutschlands auf. Pol. Morde begangen von Links stehenden Pol. Morde begangen von Rechtsstehenden Gesamtzahl Gesamtzahl der Morde 22 354 376 Zahl der Verurteilten 38 24 62 Haftdauer pro Mord 15 Jahre 4 Monate Hinrichtungen 10 – Geständige Täter freigesprochen – 23 23 Emil Julius Gumbel, Vier Jahre politischer Mord, Berlin 1922, S. 81 (Auszug) 1. Arbeiten Sie die Informationen der Tabelle heraus. 2. Überprüfen Sie die Angemessenheit der Karikatur auf Seite 190 anhand der hier vorliegenden Zahlen. M4 „Gegen die verlogene Parole“ Aus einem Anschlagzettel für „Protestkundgebungen“ der NSDAP am 13. Dezember 1922 in zehn Münchener Veranstaltungssälen. Laut Ankündigung spricht Adolf Hitler im fl iegenden Wechsel auf allen Versammlungen: Nationalsozialisten! Deutsche! Antisemiten! Die Partei der Novemberverbrecher, der Dokumentenfälscher und Landesverräter wendet sich in einem Plakat an ihre „lieben Volksgenossen“ mit dem Ziele, die gesunkene „revolutionäre Begeisterung“ wieder etwas aufzupulvern. So viele Sätze, so viele Lügen. 5 10 15 20 25 30 5 4677_1_1_2015_184-217_Kap6.indd 194 17.07.15 12:05 Nu zu P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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