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232 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa Diskriminierung und Entrechtung Die Entrechtung und Ausgrenzung der Juden hatte schon bald nach der „Machtergreifung“ begonnen und wurde schrittweise radikaler. Bereits ab Februar 1933 setzte die gewaltsame Vertreibung jüdischer Richter und Staatsanwälte aus den Gerichten, der Boykott gegen jüdische Arztpraxen, Anwaltskanzleien, Geschäfte und Warenhäuser ein. SA-Leute postierten sich vor jüdischen Läden, pöbelten deren Inhaber an, versperrten Kunden den Eingang und beschmierten die Schaufenster mit judenfeindlichen Parolen. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 verlangte von allen Beamten den Nachweis „arischer“ Abstammung. Wer als „arisch“ gelten durfte, bestimmte der „Arierparagraf“. Ähnliche Gesetze traten später für andere Berufsgruppen in Kraft; so wurde jüdischen Ärzten ab Juli 1938 die Erlaubnis der Berufsausübung (Approbation) entzogen. Die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 machten die „arische“ Abstammung zur Bedingung für die Anerkennung als Vollbürger (u M3). Das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ begrenzte zudem die Zahl der Juden in den Bildungsanstalten. 1938 erfolgte der vollständige Ausschluss. Mit den zunehmenden Repressionen, denen die deutschen Juden im gesamten Reich ausgesetzt waren, erhöhte sich auch der Verfolgungsdruck. Sie erhielten Ausgangsverbote, durften keine öffent lichen Schulen, Theater, Kinos oder Cafés mehr besuchen. Jüdischen Haushalten wurde Gas und Strom abgesperrt; ab 1938 wurden die Pässe mit einem „J“ gestempelt. Die zunehmende Ausgrenzung aus dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld machte das Leben für die Betroffenen unerträglich. Gewalt von Anfang an Nach dem 30. Januar 1933 nahmen auch die gewaltsamen Übergriffe auf Juden zu. Polizei und Behörden reagierten nicht. Das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan auf den Diplomaten Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris lieferte Propagandaminister Joseph Goebbels den willkommenen Anlass für das als „spontanen Sühneakt“ erklärte Pogrom vom 9. auf den 10. November 1938 (auch verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichnet; u M4). Reichsweit wurden Hunderte von Synagogen in Brand gesteckt, über 8 000 jüdische Geschäfte und zahllose Wohnungen zerstört, etwa 100 Juden getötet und rund 30 000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Viele starben an den Folgen der Misshandlungen oder nahmen sich das Leben. Für den „öffentlichen Schaden“ und die „Wiederherstellung des Straßenbildes“ mussten die Juden auch noch zahlen: Eine Verordnung legte die „Sühne leistung der Juden“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark fest. Versicherungsleistungen wurden zugunsten des Reiches eingezogen. Zusammen mit der Ausschaltung aus der Wirtschaft brachte dieses „Sühnegeld“ vielen Familien den Ruin. i Öffentliche Diskriminierung eines Paares. Foto aus Norddeutschland, 1933. p Nehmen Sie Stellung zur öffentlichen Diskriminierung. Literaturtipp: Raphael Gross, November 1938. Die Katastrophe vor der Katastrophe, München 2013 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 232 17.07.15 12:07 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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