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234 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa den 80 000 Personen, die 1941 mit Deportation bedroht gewesen waren, nahmen sich im Jahr 1942 außerdem bis zu 1 000 aus Angst vor der „Evakuierung“ das Leben. Bis März 1943 verringerte sich die Zahl der Berliner Juden durch fortlaufende Transporte, die nicht nur in den Osten, sondern auch in das KZ Sachsenhausen oder nach Theresienstadt gingen, auf etwa 18 500, sodass zu diesem Zeitpunkt offi ziell nur noch Juden, die in „Mischehen“ lebten, und sogenannte „Mischlinge“ zurückgeblieben waren. Die Verfolgung der Sinti und Roma Wie die jüdische Bevölkerung wurden auch die etwa 30 000 auf Reichsgebiet lebenden Sinti und Roma nach 1933 durch die Gesetze des NS-Staates diskriminiert und entrechtet. Schon bald wurde Kindern der Zugang zu öffentlichen Schulen verweigert, Sinti und Roma erhielten Berufsverbote, bekamen gekürzte Lebensmittelkarten, ihnen wurde das Wahlrecht entzogen und sie waren der ständigen Kontrolle von Behörden wie der 1937 in Berlin gegründeten „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ und dem Reichskriminalpolizeiamt unterworfen. Außerdem wurden sie aus berufsständischen Organisationen wie der Handwerkskammer sowie aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Die Diskriminierung dieser Volksgruppe, die bereits im Kaiserreich eingesetzt hatte, steigerte sich ab Mitte der 1930er-Jahre schließlich zur Verfolgung. Nach der Vorstellung der Nationalsozialisten galten die Sinti und Roma, die abschätzig als „Zigeuner“ betitelt wurden, als „Volksschädlinge“ und „Artfremde“. Richtlinien wie das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (1933)* zielten daher nicht nur auf die jüdische Bevölkerung, sondern auch auf die Sinti und Roma im Reich; viele wurden zwangsweise sterilisiert. Ab Januar 1936 wurden sie dann ebenfalls den Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“ unterworfen. Da sich diese wortwörtlich nur gegen die jüdische Minderheit gerichtet hatten, wurde eine „Erste Verordnung zu den Rassengesetzen“ veröffentlicht, die auch für „Angehörige anderer Rassen, deren Blut dem deutschen Blut nicht artverwandt ist“, wie „Zigeuner“, angewendet werden sollte. In zahlreichen deutschen Städten entstanden Mitte der 1930er-Jahre zudem spezielle KZ-ähnliche Sammellager für Sinti und Roma, die später – vor allem im Zuge der Massenverhaftungen der Jahre 1938/39 – zum Ausgangspunkt der Deportationen in die Konzentrationsund Vernichtungslager wurden. In Lagern wie Dachau, Buchenwald, Ravensbrück oder Sachsenhausen kategorisierte man Angehörige dieser Minderheit dann als sogenannte „Rassenschänder“ oder „Asoziale“. Ab März 1939 mussten die deutschen Sinti und Roma zudem besondere „Rasseausweise“ bei sich tragen, ihre Pässe wurden eingezogen. Der sogenannte „Festsetzungserlass“ vom Oktober 1939, der Sinti und Roma unter Androhung von KZ-Haft verbot, ihre Wohnorte zu verlassen, bildete schließlich die Grundlage für die massenhafte Deportation dieser Minderheit in das besetzte Polen ab Mai 1940. Emigration Zwischen 1933 und 1945 ergriffen allein im deutschsprachigen Raum über eine halbe Millionen Menschen die Flucht ins Ausland, um dem wachsenden Terror des NS-Regimes zu entgehen. Über 90 Prozent waren jüdischer Herkunft; die übrigen Emigranten gehörten zu den politischen Gegnern des Nationalsozialismus, die von Verfolgung und KZ-Haft bedroht waren oder wie viele Künstler und Wissenschaftler keine Existenzmöglichkeiten mehr hatten. i Rassistisches Verbotsschild. Foto aus dem Kreis Herford, 1930er-Jahre. * Siehe zu diesem Gesetz auch S. 258. Literaturtipp: Oliver von Mengersen (Hrsg.), Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015 Internettipp: Für Informationen zur Geschichte und Gegenwart der deutschen Sinti und Roma siehe 4677-21 Literaturtipp: Markus Roth und Andrea Löw, Das Warschauer Ghetto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München 2013 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 234 17.07.15 12:07 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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