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Geschichte kontrovers298 Geschichte kontrovers Der 8. Mai 1945: „Befreiung“ oder „Niederlage“? Am 7. Mai 1945 unterschrieb der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Generaloberst Alfred Jodl, im Hauptquartier der alliierten Streitkräfte in Reims (Westfrankreich) die bedingungslose Kapitulation. Sie wurde einen Tag später durch den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, im Beisein des sowjetischen Marschalls Georgi K. Schukow im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst wiederholt und trat danach in Kraft. „Nun wehen die Flaggen der Freiheit über ganz Europa“, erklärte der damalige US-Präsident Harry S. Truman in seiner Rundfunkansprache am 8. Mai 1945 zur Kapitulation Deutschlands. Europa, ja die Welt, sei durch die Alliierten von der NS-Diktatur befreit worden. In der Bundesrepublik Deutschland – anders als in der DDR – stritt man dagegen lange Zeit, ob der 8. Mai 1945 für die Deutschen ein Tag der Befreiung oder ein Tag der Niederlage gewesen sei.* Die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist nicht nur historisch bedeutsam, sie zeigt auch die Normen auf, nach denen wir heute leben wollen. M1 „Der Sozialismus ist nicht zu besiegen“ Der Präsident der Volkskammer der DDR, Horst Sindermann, äußert sich in einer Festrede am 8. Mai 1985 in Ost-Berlin zum „40. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes“: [Die] Würdigung des historischen Sieges über den Faschismus ist ein Ausdruck des Dankes an alle Völker, die sich der Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus entgegenstemmten. In tiefer Ehrfurcht verneigt sich unser Volk vor den 50 Millionen Gefallenen und Ermordeten, den Opfern dieser furchtbarsten Tyrannei in der Geschichte der Menschheit. […] Vor allem hatten es die Faschisten auf die Vernichtung des Sozialismus abgesehen und fi elen deshalb mit aller Grausamkeit und einer unbeschreiblichen Zerstörungswut über die Sowjetunion her. Aber hier wurde allen Antikommunisten und berufsmäßigen Verleumdern des Sowjetstaates die historische Lehre erteilt, dass der Sozialismus nicht zu besiegen ist, weil er den geschichtlichen Fortschritt der Menschheit verkörpert, das Leben und die Zukunft der Völker ist. […] Die Erhaltung des Friedens ist zur Lebensfrage der Völker geworden, deren Lösung über die Gestaltung der Zukunft entscheidet. Mögen deswegen die Massen in Ost und West, in Nord und Süd geschlossen zum Kampf aufstehen für die Beseitigung der atomaren Waffenarsenale, die heute schon ausreichen, um den Erdball mehrfach zu vernichten. […] Wir treten als Repräsentanten des sozialistischen deutschen Staates vor die Völker mit dem Schwur, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Dieses Vermächtnis des antifaschistischen Kampfes ist heute, da es um die Verhinderung eines atomaren Infernos geht, aktueller denn je. […] 40 Jahre nach dem Sieg über den Faschismus durch die Rote Armee und die anderen Armeen der Anti-Hitler-Koalition halten wir das Banner des Friedens fest in unseren Händen und schützen es mit der Kraft der Arbeiterklasse und den Waffen, die sie in ihren Händen trägt. […] Die Deutsche Demokratische Republik wird stets ihre Verpfl ichtungen im Rahmen des Verteidigungsbündnisses erfüllen. Horst Sindermann, Im Kampf für den Frieden als treuer Verbündeter an der Seite der Sowjetunion, in: Ders., Alles für das Volk – alles mit dem Volk! Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin 1985, S. 421 435 (gekürzt) M2 „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen“ Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) spricht am 8. Mai 1985 in einer Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle. Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft oder Übergang zu neuer Abhängigkeit, Teilung, neue Bündnisse, gewaltige Machtverschiebungen – der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung in Europa. Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein fi nden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft 5 10 15 20 25 30 5 10 * Zur Rede des Historikers Heinrich August Winklers am 8. Mai 2015 siehe S. 537. 4677_1_1_2015_276-311_Kap8.indd 298 17.07.15 12:09 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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