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332 Nationale Identität unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit in Deutschland In der Öffentlichkeit wurde die Forderung, das Abtreibungsverbot aufzuheben, besonders kontrovers diskutiert. Ihren Höhepunkt erreichte die APO im Jahr 1968. In diesem Jahr verabschiedete der Bundestag nach mehrjähriger Debatte die Notstandsgesetze. Befürworter sahen darin eine Regelung für den Krisenfall, für den sonst die Kontrollrechte der Alliierten greifen müssten. Die Gegner sahen darin jedoch eine Aushöhlung bürgerlicher Freiheiten. Spaltung und Folgen der 68er-Bewegung Unter dem Schlagwort „Mehr Demokratie wagen“ startete die Regierungskoalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt am 21. Oktober 1969 eine Politik umfassender Reformen. Die betriebliche Mitbestimmung wurde verbessert und der Sozialstaat ausgebaut, das Eheund Familienrecht wurde unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung der Geschlechter reformiert. Die Abtreibung wurde bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffrei, bei vorheriger medizinischer Beratung. Auch das Bildungswesen wurde ausgebaut. Bis 1980 wurden 24 neue Universitäten und Technische Hochschulen eröffnet. Studenten und Auszubildende mit einem geringen Einkommen der Eltern erhielten seit 1971 staatliche Unterstützung. Mit dem Ende der Großen Koalition nach den Bundestagswahlen 1969 zerfi el auch die APO. Ein großer Teil ihrer Anhänger war mit den Maßnahmen der sozialliberalen Koalition zufrieden und fand eine politische Heimat in der SPD. Was blieb, war die Hoffnung, in einem „langen Marsch durch die Institutionen“ in ferner Zukunft „das System zu überwinden“. Der harte Kern der Aktivisten spaltete sich in verschiedene linksradikale Gruppen und einen terroristischen Flügel, die Rote Armee Fraktion (RAF). Die „68er-Bewegung“, wie sie später genannt wurde, politisierte die bundesdeutsche Gesellschaft und prägte die Einstellungen und Überzeugungen einer ganzen Generation. Neue Lebensformen, die den bürgerlichen Moralvorstellungen widersprachen, wurden erprobt; Wohngemeinschaften entstanden, und der „repressiven Sexualmoral“ wurde eine freizügige Sexualität gegenübergestellt. Eine Revolution des Lebensstils unter den Gesichtspunkten der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung hatte stattgefunden, freilich auf der Grundlage gesicherter wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse. Die Bundesrepublik wird Zuwanderungsland Der enorme wirtschaftliche Aufschwung der 1950er-Jahre führte bald zu Arbeitskräftemangel, weshalb ab 1955 ausländische Arbeitnehmer angeworben wurden. Diese Anwerbung wurde allein unter arbeitsmarktpolitischen Erwägungen verfolgt. Weder die Bundesregierung noch die Einwanderer planten, dauerhaft in der Bundesrepublik zu bleiben. Das „Rotationsprinzip“ ging davon aus, dass Arbeiter nach wenigen Jahren wieder ins Heimatland gehen sollten. Deshalb wurden ausländische Arbeitnehmer „Gastarbeiter“ genannt. Sie waren als ungelernte Arbeitskräfte vor allem in der Industrie oder im Bergbau tätig und mussten dort in der Regel Akkordund Schichtarbeit verrichten. Die Entlohnung war deutlich geringer als bei deutschen Arbeitnehmern, weshalb Unternehmen mit fi nanziellen Vorteilen bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte rechneten. Die deutsche Bevölkerung begegnete den neuen Kollegen größtenteils mit Skepsis. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede, eine schlechte Berufsausbildung, geringes Einkommen und die Absicht der deutschen Regierung, Ausländer nicht zu integrieren, drückten „Gastarbeiter“ häufi g an den Rand der Gesellschaft. Internettipp: Zur Immigration von „Gastarbeitern“ in NRW siehe Code 4677-32 Notstandsgesetze: Sie sollten im Falle eines inneren und äußeren Notstandes die Handlungsfähigkeit der Regierung sichern, indem sie die Einschränkung von Grundrechten erlaubten, darunter das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sowie die Unverletzbarkeit der Wohnung. Rote Armee Fraktion (RAF): Die RAF verstand sich als bewaffneter Arm einer sozialistischen Bewegung, die im „Städtekampf“ die Abschaffung des Kapitalismus vorantreiben wollte. Die Terrorgruppe verübte eine Serie von bewaffneten Banküberfällen und politischen Attentaten, bei denen sie bis 1994 34 Menschen töteten und über 200 zum Teil schwer verletzt en. 4677_1_1_2015_312-361_Kap9.indd 332 17.07.15 12:13 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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