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338 Nationale Identität unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit in Deutschland sinnvolle Integrationspolitik kann nicht außer Acht lassen, dass Gastarbeiter-Neuankömmlinge Novizen der Industriegesellschaft sind: mit anderen Gewohnheiten (die landläufi g als primitiv gelten mögen) und mit anderen Fähigkeiten (die in der Leistungsgesellschaft nicht viel einbringen). Dass jemand, der beispielsweise der deutschen Sprache nicht mächtig ist und keinen Beruf gelernt hat, am unteren Ende der Sozialskala rangiert, ist so verwunderlich nicht. Nur: Dass er eine Chance bekommt, diesem Kuli-Dasein zu entrinnen – das erscheint politisch wie humanitär erforderlich angesichts der sich verstärkenden Tendenz, dass aus Gastarbeitern Dauergäste werden, Staatsbürger also vielleicht. Darauf zu warten, dass Integration irgendwie und irgendwann passiert, statt sie bewusst mit Partnern zu vollziehen, ist freilich nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch inkonsequent: Da die bundesdeutsche Geburtenquote rückläufi g tendiert [...] und die unselbstständige Erwerbsbevölkerung stagniert, fehlen heute schon qualifi zierte Gastarbeiter. Qualifi zieren können sie sich nur mit deutscher Hilfe – an Arbeitsplätzen mit Weiterbildungsund Aufstiegschancen. Diese Art von Entwicklungshilfe, auf deutschem Boden gewährt, käme nicht nur den integrationswilligen, sondern auch den zurückkehrenden Gastarbeitern – und damit ihren Heimatländern – zugute. Da aber offenbar nicht sein kann, was nicht sein darf, erhalten Staat und Gesellschaft mühsam die Fiktion aufrecht, die Beschäftigung von Nicht-Deutschen sei nur ein vorübergehendes Phänomen: Sie verhalten sich wie ein Wirt, der seinen Gästen Umsatz und Wohlstand verdankt, insgeheim aber den Tag herbeiwünscht, da er soviel vereinnahmt hat, dass er ihnen den Stuhl vor die Tür setzen kann. „Komm, komm, komm – geh, geh, geh.“ Spiegel-Report über sozial benachteiligte Gruppen in der Bundesrepublik (II): Gastarbeiter, in: Der Spiegel 43/1970, S. 51 74 (stark gekürzt) 1. Veranschaulichen Sie die Lebensbedingungen der „Gastarbeiter“ in einer Karikatur. 2. Arbeiten Sie die Haltung der Bundesrepublik zur Integration von Ausländern aus dem Report heraus. 3. „Entwicklungshilfe auf deutschem Boden“. Erläutern Sie die Argumentation des Verfassers zu Integration von „Gastarbeitern“ in der Bundesrepublik. F Gehen Sie auch auf die Frage ein, ob der Verfasser selbst Vorurteile gegenüber „Gastarbeitern“ artikuliert. M4 Was ist Umweltpolitik? Die seit 1969 regierende SPD/FDP-Koalition ist die erste deutsche Regierung, die sich ausdrücklich dem Umweltschutz verpfl ichtet. In ihrem Umweltprogramm von 1971 heißt es: 1. Umweltpolitik ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, – um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, und – um Boden, Luft und Wasser, Pfl anzenund Tierwelt vor nachhaltigen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und – um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen. 2. Die Kosten der Umweltbelastungen hat grundsätzlich der Verursacher zu tragen (Verursacherprinzip). 3. Die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft wird bei Verwirklichung des Umweltprogramms nicht überfordert werden. Der Umweltschutz soll durch fi nanzund steuerpolitische Maßnahmen sowie durch Infrastrukturmaßnahmen unterstützt werden. 4. Der Zustand der Umwelt wird entscheidend bestimmt durch die Technik. Technischer Fortschritt muss umweltschonend verwirklicht werden. […] 5. Umweltschutz ist Sache jedes Bürgers. Die Bundesregierung sieht in der Förderung des Umweltbewusstseins einen wesentlichen Bestandteil ihrer Umweltpolitik. 6. Die Bundesregierung wird sich für ihre Entscheidungen in Fragen des Umweltschutzes verstärkt der wissenschaftlichen Beratung bedienen. Sie wird hierfür u. a. einen Rat von Sachverständigen für die Umwelt berufen. 7. Alle Umweltbelastungen und ihre Wirkungen müssen systematisch erforscht werden. Die notwendigen Forschungsund Entwicklungskapazitäten für den Umweltschutz werden ausgebaut […]. 8. Die Möglichkeiten der Ausbildung für die Spezialgebiete des Umweltschutzes sollen, unter anderem durch interdisziplinäre und praxisbezogene Aufbaustudien an Hoch und Fachhochschulen, vermehrt und verbessert werden. 9. Wirksamer Umweltschutz bedarf enger Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden untereinander und mit Wissenschaft und Wirtschaft. 10. Der Umweltschutz verlangt internationale Zusammenarbeit. Die Bundesregierung ist hierzu in allen Bereichen bereit und setzt sich für internationale Vereinbarungen ein. Drucksache VI/2710 des Deutschen Bundestages vom 14. Oktober 1971 5 10 15 20 25 30 35 40 40 45 50 55 60 65 70 4677_1_1_2015_312-361_Kap9.indd 338 17.07.15 12:13 Nu r z u Pr üf zw ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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