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Wachsende Kritik von Friedensund Umweltgruppen in der DDR Die Krise der kommunistischen Herrschaft entzündete sich nicht nur am Versagen der Ökonomie. Den Boden für den Massenprotest des Jahres 1989 bereiteten oppositionelle Gruppierungen, die seit den frühen 1980er-Jahren mit wachsendem Selbstbewusstsein das Regime herausforderten, aber auch viele einzelne Bürger, die unter Berufung auf die von der DDR 1975 unterschriebene KSZE-Schlussakte* ihre Menschenrechte ein forderten. Anfangs waren es vor allem Friedensund Umweltgruppen, die unter dem Schutz der Kirchen einen Freiraum von staatlicher Erziehung schufen und dort ihre Kritik veröffentlichten. Zunächst entstanden diese informellen Zusammenschlüsse von aufbegehrenden DDR-Bürgern aus der Empörung über konkrete Maßnahmen des SED-Staates. Der kritische Blick auf die Einführung des „Wehrunterrichts“ an allen Schulen 1978, die staatlich verordnete Militarisierung der Gesellschaft sowie die Aufrüstung in Ost und West entwickelte sich in Richtung auf eine umfassendere Kritik. Eine wichtige Rolle spielte etwa der von Pfarrer Rainer Eppelmann und Robert Havemann gemeinsam formulierte „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“ (1982). Die Forderungen nach Toleranz und Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung unterschrieben innerhalb weniger Monate Tausende (u M4). In Friedensseminaren und Friedenswerkstätten fanden sich zumeist jugendliche Teilnehmer aus der ganzen DDR zusammen. Ihr gemeinsames Protestsymbol war ein Aufnäher mit der Aufschrift „Schwerter zu Pfl ugscharen“. Die Staatsmacht versuchte, die Friedensbewegung in ihrem Sinne zu vereinnahmen (u M5), reagierte aber auch mit Berufsverboten (u M6), Verhaftungen und Ausbürgerungen prominenter Oppositioneller und vor allem mit dem massiven Einsatz von Inoffi ziellen Mitarbeitern der Staats sicherheit. Die beabsichtigte „Zersetzung“ opposi tioneller Gruppierungen ging so weit, dass manche Friedenskreise von Stasi-Spitzeln regelrecht unterwandert wurden. Eine Bürgerrechtsbewegung entsteht 1985 gründeten mehrere Bürgerrechtler in Ost-Berlin die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM). Die stark christlich pazifi stisch ausgerichtete Protestbewegung gewann eine neue Qualität: Erstmals erhob sie Forderungen nach einer freiheitlichen Demokratie. Immer mehr Menschen solidarisierten sich mit jenen, die verhaftet, ausgebürgert oder auf andere Weise eingeschüchtert werden sollten. Zu den dauerhaft aktiven Regimegegnern zählten aber nur wenige hundert Personen, die jedoch viele tausend Sympathisanten gewinnen konnten. Allmählich entstand ein landesweites Netzwerk durch im Untergrund gedruckte Zeitschriften und Flug blätter, Treffen und Protestaktionen. * Siehe S. 354, S. 502 und S. 506. i „Schwerter zu Pfl ugscharen.“ Unter diesem Motto forderte die christliche Friedens bewegung zur Abrüstung auf. Trotz Betonung ihrer Friedensliebe verbot die SED-Führung jegliche Friedenssymbole und forderte die Bischöfe auf, die Friedensaktivisten zu bremsen. Sie erreichte damit das Gegenteil: Auf dem Kirchentag in Wittenberg 1983 wurde ein Schwert zur Pfl ugschar umgeschmiedet. Rainer Eppelmann (geb. 1943): evangelischer Pfarrer, 1989 Mitbegründer der Partei „Demokratischer Aufbruch“ (DA), seit 1990 Mitglied der CDU, 1990 Minister für Verteidigung und Abrüstung in der letzten DDR-Regierung Robert Havemann (1910 1982): kommunistischer Widerstandskämpfer gegen das „Dritte Reich“, 1950 1964 Professor für Physikalische Chemie in Ost-Berlin. Er erhielt nach kritischen Äußerungen Berufsverbot und wurde bis zu seinem Tod überwacht. 366 Die Überwindung der deutschen Teilung in der „friedlichen Revolution“ von 1989 4677_1_1_2015_362-397_Kap10.indd 366 17.07.15 12:15 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc h er V er la gs | |
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