Volltext anzeigen | |
M1 Bauindustrie Im Mai 1988 verhandelt das Politbüro der SED über die Modernisierung der Bauindustrie. Den Vorschlägen liegen folgende Anlagen bei: Das jährliche Investitionsvolumen für das Bauwesen verringerte sich in den 80er-Jahren auf etwa die Hälfte des im Zeitraum 1975/76 realisierten Umfangs, wobei vor allem 1981/83 rund [...] ein Jahresinvestitionsvolumen für Aufgaben der Energieumstellung [von Heizöl auf Braunkohlenstaub] eingesetzt worden sind. Demzufolge wurden Erweiterungsinvestitionen nur noch für solche Erzeugnisse vorgenommen, wo der Bedarf nicht gedeckt werden konnte. [...] Ein beträchtlicher Teil der Kapazitäten [etwa ein Drittel] des Rationalisierungsmittelbaus1 des Bauwesens muss für die Eigenfertigung von Ersatzteilen und die Regenerierung von Verschleißteilen eingesetzt werden. [In] den vergangenen 7 Jahren [ist] die Bereitstellung neuer Baumaschinen und Fahrzeuge wesentlich reduziert worden. Damit stieg der Anteil von vollständig abgeschriebenen und nur noch bedingt reparaturfähigen Ausrüstungen erheblich an. M2 Mikroelektronikprogramm In den späten 1970er-Jahren entwickelt sich die Mikroelektronik zur weltweiten Schlüsseltechnologie. Die DDR investiert insbesondere währender 1980er-Jahre in diese Branche. Der Wirtschaftshistoriker André Steiner bewertet das Mikroelektronikprogramm der DDR: Als man immer öfter Schwierigkeiten hatte, seine Exportprodukte auf den Weltmärkten abzusetzen, wurde nach einem Weg gesucht, die technologische Lücke zum Weltstand wieder zu verringern. [...] Daher wollte man mit einem Politbürobeschluss von 1977 die Kräfte auf die Entwicklung der Mikroelektronik konzentrieren, die sich international immer mehr als die neue Basisinnovation herauskristallisiert hatte. Das entsprechende Programm verschlang allein von 1986 bis 1989, als die Anstrengungen noch einmal vervielfacht wurden, rund 14 Milliarden Mark [...]. Dieses Programm war aber für die DDR unter den gegebenen Bedingungen gewissermaßen eine Notwendigkeit. Zum einen bezahlte man damit den Preis für die Fehlentscheidung am Anfang der Siebzigerjahre, die auf diesem Gebiet bis dahin geleisteten Entwicklungsarbeiten abzubrechen. Zum anderen erforderte ein leistungsfähiger und moderner Maschinenbau immer dringender mikroelektronische Bauelemente. [...] Dabei setzte man im hohen Maße darauf, [...] die westlichen Embargobestimmungen1 zu unterlaufen und sich das notwendige Know-how sowie erforderliche Produktionsanlagen als Prototypen illegal aus dem Westen zu beschaffen und dann nachzubauen. Jedoch konnten auf diese Weise die grundsätzlichen Probleme des Technologietransfers nicht beseitigt werden. Schon wegen seiner enormen Kosten, die der Bevölkerung nicht verborgen bleiben konnten, musste das Mikroelektronikprogramm propagandistisch zu einem Musterbeispiel vorausschauender Wirtschaftsund Strukturpolitik hochstilisiert werden. Allerdings war vorauszusehen, dass unter den DDR-Bedingungen der Aufwand in einem kolossalen Missverhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen stehen würde. So betrugen die Kosten für die Produktion eines 256 Kbit Speicherschaltkreises 534 Mark, dagegen war das gleiche Bauelement auf dem Weltmarkt für vier bis fünf Valutamark2 zu haben. Damit musste jeder Schaltkreis mit 517 Mark aus dem Staatshaushalt gestützt werden.3 An ökonomischen Kriterien war diese Anstrengung nicht zu messen. So wurden immer wie1 Rationalisierungsmittelbau: Herstellung von (technischen) Geräten, die den Arbeitsprozess effi zienter gestalten sollen Maschinen Bestand nicht mehr modernisierungsfähig (in Prozent) Auslastung (in Prozent) insgesamt 1979 1987 1987 Turmdrehkrane 907 35,2 36,0 105,9 Autodrehkrane 1 980 39,8 92,3 106,2 Planierraupen 1 349 41,0 90,5 105,6 LKW-Kipper 7 280 30,0 65,1 107,1 Zitiert nach: Matthias Judt, Aufstieg und Niedergang der „Trabi-Wirtschaft“, in: Ders., DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1997, S. 159 1. Skizzieren Sie die Lage der Bauindustrie der DDR um 1987. 2. Begründen Sie den Anstieg nicht mehr modernisierungsfähiger Maschinen in der Baubranche. 3. Diskutieren Sie, welche wahrscheinlichen Folgen sich aus dem Zustand der Bauindustrie für die Bevölkerung der DDR ergaben. 1 Embargo: Unterbindung der Einund Ausfuhr von Waren und Rohstoffen. Die Staaten des Westblocks wollten den Verkauf moderner Technologien in den Ostblock verhindern. 2 Valutamark: Westmark 3 Das Ziel war es, Speicherschaltkreise für max. 16 Mark auf dem Weltmarkt anzubieten. 5 10 15 5 10 15 20 25 30 35 368 Die Überwindung der deutschen Teilung in der „friedlichen Revolution“ von 1989 4677_1_1_2015_362-397_Kap10.indd 368 17.07.15 12:15 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um d es C .C .B uc h r V er l gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |