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406 Geschichte kontrovers Geschichte kontrovers Der Dreißigjährige Krieg – ein Religionskrieg? Nach dem Anschlag radikal-islamistischer Terroristen in Washington und New York am 11. September 2001 nahm die Geschichtswissenschaft das Phänomen religiös legitimierter Gewalt erneut in den Blick: Der Fokus richtete sich auch auf die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen, die im Anschluss an die Reformation im Dreißigjährigen Krieg ihren Höhepunkt fanden. In welchem Maß sich die europäischen Staaten von einem solchen Konfessionsfundamentalismus leiten ließen, ist allerdings umstritten: Inwieweit war dieser Dreißigjährige Krieg tatsächlich ein Religionskrieg? Und weiter gefragt: Gibt es überhaupt reine Religionskriege oder sind derartige Konfl ikte nur Rechtfertigungen für verdeckt liegende andere Motive? Zwei Historiker nehmen zu dieser Frage Stellung. M1 Konfessionskrieg? Axel Gotthard, Professor für Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg, untersucht Ursachen und Anlässe des Dreißigjährigen Krieges: Der Augsburger Religionsfrieden besiegelte, dass ein politisches System – eben das Reich – fortan dauerhaft zwei divergierende Wege zum Seelenheil, zwei exklusive, einander erbittert bekämpfende Wahrheitsmonopole zu integrieren, politisch zu überwölben hatte. […] Jahrzehnte, ehe die Waffen sprachen, rangen die Theologen – sie ohnehin –, aber auch, in wachsender Erbitterung, die Rechtsgelehrten miteinander. Anstatt zu Söldnern griff man zu Juristen, die in professioneller Spitzfi ndigkeit das Beste für die je eigene Seite aus dem Religionsfrieden herauszuholen versuchten. […] Alle brisanten reichspolitischen Konfl ikte seit den 1580erJahren drehten sich um die rechte Auslegung des Religionsfriedens […]. Vom alltäglichen Zusammenleben, beispielsweise in bikonfessionellen Kommunen, über die kaum mehr stattfi ndende face-to-face-Kommunikation der Entscheidungsträger bis hin zu einer hitzigen Kampfpublizistik, in der die Gelehrten ihren andersgläubigen Kollegen verbal die Scheiterhaufen aufrichteten: Die Kommunikationskreise waren nachhaltig und großfl ächig gestört. […] Ein Mordanschlag auf Mitglieder der kaiserlichen Regierung1 – damit war das Tischtuch zerschnitten. Aber was hat das alles mit Deutschlands Protestanten und Katholiken, mit Union und Liga2 zu tun? […] In der Tat: Aus Böhmen fl og der sprichwörtliche Funke heran, der das Pulverfass zum Explodieren brachte.3 Seriöse Kriegsursachenforschung muss aber, um im Bild zu bleiben, an der explosiven Mischung ansetzen, die das Reich zum entzündbaren Pulverfass gemacht hat, nicht die Lunte inspizieren. […] Anstatt alle Kraft auf die Einhegung der regionalen Krise und die Abschirmung des Reiches von ihr zu verwenden, ließen sich die konfessionspolitischen Lager des polarisierten Reichs verbands4 sukzessive in die böhmischen Auseinandersetzungen hineinziehen. Die Unionsfürsten sympathisierten eben nicht mit einem von seinen Untertanen bedrängten hochadligen Standesgenossen, dem Habsburger. Sie sympathisierten vielmehr mit den aufbegehrenden Glaubensgenossen. Die darniederliegende Liga revitalisierte sich und kam Ferdinand von Habsburg zu Hilfe – was kriegsentscheidend war. […] Die Anlässe waren zwar böhmisch, aber weil sich die regionalen Querelen dieses Königreiches sehr rasch zu Kämpfen zwischen Deutschlands Katholiken und Protestanten ausweiteten, musste dieser Beitrag nach dem Zustand des Reiches vor 1618 fragen. Der Reichsverband war nach 1555 eine Zeit lang unterwegs zu integrativer Verdichtung über weltanschauliche Gräben hinweg; aber am Ende relativierten nicht die systemimmanenten5 politischen Sachzwänge den konfessionellen Dissens, sondern das doppelte Wahrheitsmonopol schüttelte ihm nicht frommende Zwänge ab. […] das politische System wurde blockiert und trudelte dann in den dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg. Axel Gotthard, Die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs. Ursachen, Anlässe und Zuspitzungen, in: Peter C. Hartmann und Florian Schuller (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, Regensburg 2010, S. 24, 30, 38 und 42 1 Damit ist der „Prager Fenstersturz“ gemeint; vgl. die Abbildung rechts. 2 Vgl. dazu S. 402. 3 Auch hier ist der Prager Fenstersturz gemeint. 4 die militärischen Schutzbündnisse der protestantischen und katholischen Fürsten, Union und Liga 5 systemimmanent: zu einem System gehörend 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 4677_1_1_2015_398-423_Kap11.indd 406 17.07.15 12:17 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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