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410 Multilateraler Interessenausgleich nach dem Dreißigjährigen Krieg Verhandlungstechnisches Neuland Einen Kongress in vergleichbarer Form hatte es noch nicht gegeben. Die Diplomaten betraten Neuland. Seinen Beginn verschleppten zeremonielle Fragen. Wer hatte den Vortritt bei Gesprächen – die Vertreter Frankreichs oder Spaniens? Durften Katholiken direkt mit Protestanten verhandeln? Für strenggläubige Katholiken waren sie ja Ketzer: Vertreter der falschen Glaubenslehre. Während des Kongresses trafen nie alle Gesandten der Verhandlungsparteien zusammen. Plenarsitzungen, wie sie heute üblich sind, gab es noch nicht. In Osnabrück sprachen die Gesandten der verfeindeten Mächte direkt miteinander. Komplizierter war es anfangs in Münster. Dort verhandelten die Gesandten offi ziell nur über neutrale Friedensvermittler, sogenannte „Mediatoren“, erfahrene und qualifi zierte Gesandte der Republik Venedig und des Heiligen Stuhls. Die Bevollmächtigten kamen mit Anweisungen (Instruktionen), doch ihr Handlungsspielraum war relativ groß, da ihre „Herren“ ja in Wien, Paris, Stockholm und anderen fernen Residenzstädten lebten. Das trug zu vielen pragmatischen Lösungen bei. Sehr viel Zeit nahm die Bewilligung der Konferenzergebnisse in Anspruch, da Kuriere sie erst zu den Regierungssitzen und dann zurück zu den Kongressorten bringen mussten. Die Verhandlungen wurden schon damals von den Medien beeinfl usst, von illustrierten Flugblättern und -schriften sowie von Zeitungen. Sie informierten, kommentierten und verbreiteten nicht selten gezielt irgendwelche Gerüchte, um den Verlauf der Verhandlungen zu beeinfl ussen. Themen und Ziele der Verhandlungsparteien In Münster wurde über die Unabhängigkeit der niederländischen Provinzen von der spanischen Krone, den seit 1635 andauernden Krieg zwischen Frankreich und Spanien sowie den Frieden zwischen Frankreich, dem Reich und den Reichsständen verhandelt; in Osnabrück über die Friedensbedingungen zwischen Schweden, dem Reich und den Reichsständen. Diese Verhandlungen betrafen völkerrechtliche, konfessionsrechtliche und verfassungspolitische Fragen und wurden von folgenden machtpolitischen Zielen der Hauptakteure überlagert: • Die schwedische Krone strebte die Vorherrschaft im Ostseeraum an. • Die französische Monarchie versuchte, die Habsburger, die ja im Heiligen Römischen Reich und in Spanien die Herrscher stellten, zu schwächen, um vorherrschende Macht auf dem europäischen Kontinent zu werden. • Der römisch-deutsche Kaiser wollte seine Führungsrolle gegenüber den Reichsständen behalten und den französischen und schwedischen Einfl uss auf das Reich verhindern. • Die großen Reichsstände bemühten sich, mithilfe Frankreichs und Schwedens außenpolitisch und konfessionell unabhängiger vom Kaiser zu werden. • Die Reichsstände suchten ein Lösung für die Konfessionsfragen. Fassen Sie die Hauptprobleme des Friedenskongresses zusammen. i „Ballet de la Paix.“ Titelseite einer Ballettaufführung, die von französischen Gesandten 1645 in Münster veranstaltet worden waren. Diplomaten: Zwischen den Herrschern (Regierungen) verschiedener Gemeinwesen (Staaten) verhandeln Diplomaten (Gesandte, Botschafter). Sie haben die Interessen ihrer Auftraggeber wahrzunehmen, deren Ansehen zu vergrößern, Informationen zu beschaffen und Streitigkeiten zu schlichten. Etwa seit Mitte des 17. Jh. besitzen sie in den gastgebenden Staaten bestimmte Vorrechte wie die Unverletzlichkeit ihrer Person. 4677_1_1_2015_398-423_Kap11.indd 410 17.07.15 12:17 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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