Volltext anzeigen | |
Einführung 15 kratie modernisiert und revitalisiert. Besonders durch die neuen Energieversorgungsinfrastrukturen und die Mikrogenossenschaften haben sich Kulturen der Partizipation entwickelt, die zuerst die lokale, dann mehr und mehr auch die nationale Ebene erreichten. Die Dezentralität der Versorgungskultur hat auch zu einem Strukturwandel des Politischen geführt: Die Gewinne aus der Energiewirtschaft blieben vor Ort und führten zu mehr direkten Gestaltungsmöglichkeiten der um die Jahrtausendwende weitgehend verarmten Kommunen und Gemeinden. Das sorgte für eine größere Diversität lokaler Kulturen und eine Renaissance der Bürgerengagements. Schwimmbäder wurden nicht mehr geschlossen, sondern ökologisch saniert; Seniorenwohnheime mit Kindertagesstätten zusammengelegt, entlegene Ortschaften durch Beförderungsgenossenschaften angeschlossen. Internetanschlüsse gehören genauso zur gesetzlichen Versorgung wie Teilnahmemöglichkeiten an öffentlichen Veranstaltungen, Versammlungen etc. Berufspolitiker gibt es nicht mehr. Diese spezialistischen Menschen, die wenig anderes konnten als Macht, weil sie seit ihrem Jugendalter nichts anderes kennengelernt hatten als Parteigliederungen und deshalb unter den heutigen Bedingungen als sozial unintelligent betrachtet werden, sind total aus der Mode gekommen. Die öffentlichen Angelegenheiten werden von politisch engagierten Menschen betrieben, die nur nebenberuflich oder temporär Politikerinnen und Politiker sind: wenn sie Abgeordnete sind, ein Ministerium leiten usw. Die gegenwärtige Bundeskanzlerin hat ausdrücklich Wert darauf gelegt, nach spätestens zwei Legislaturperioden wieder in die Wissenschaft zurückkehren zu können. Der Strukturwandel des Politischen hat auf der kommunalen Ebene mehr Elemente direkter Demokratie geschaffen, aber im Großen und Ganzen hat sich das System der parlamentarischen Demokratie als so robust erwiesen, dass es auch in der nachhaltigen Moderne kaum strukturelle Anpassungen brauchte. Am besten angesehen in der nachhaltigen Moderne sind die, die das in jeder Hinsicht leichteste Leben führen und sich am stärksten für das Gemeinwohl engagieren. Dabei gelten diejenigen mit den verwegensten und scheinbar unmöglichsten Ideen als besonders interessante Menschen; es macht auch nichts, wenn sie scheitern, sofern sie elegant und nonchalant scheitern. Probieren und experimentieren gilt als sexy, Selbstironie und Großzügigkeit als lässig, Selbstdenken wird bewundert. Die Glücksindizes messen für Deutschland kontinuierlich ansteigende Werte, anders als im Rest der Welt, der in einer Mischung aus Bewunderung und Entgeisterung auf dieses Land schaut. Ausgerechnet die Deutschen gelten heute international als die entspanntesten Menschen; die Chinesen halten sie für stinkfaul und die G20 für nicht mehr integrationsfähig. Deutschland wird nicht mehr zu den Gipfeln eingeladen. „Kann passieren“, sagt dazu die Kanzlerin. „Ich halte das sowieso für keine demokratische Veranstaltung.“ Natürlich ist auch in Deutschland die soziale Ungleichheit nicht beseitigt worden, selbstverständlich gibt es jede Menge Vorurteile, Stereotype, Konflikte, Proteste – alles, was zu einem vitalen Gemeinwesen dazugehört. Lebendigkeit und Konvivialität bringen immer Reibungen mit sich, man hätte sonst auch keine Geschichten über sich und andere zu erzählen. Gossip ist nicht abgeschafft. So. Diese Geschichte ist, wie mir scheint, nicht so schlecht, als dass man sie nicht über sich erzählen können wollte. Besser als die Geschichte, die wir in der Gegenwart des Jahres 2013 über uns erzählen können, ist sie allemal. Und: Jedes einzelne ihrer Elemente lässt sich weiterspinnen, eine unendliche Menge an Geschichten über Möglichkeiten des Gelingens. (Harald Welzer: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2013, S. 154 – 160) Harald Welzer, Direktor der gemeinnützigen Stiftung Futurzwei, Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg und renommierter Sozialpsychologe, hat in seinem Buch „Selbst denken“ dieses Zukunftsszenario für das Jahr 2033 entworfen. Analysieren Sie dieses Szenario in arbeitsteiliger Gruppenarbeit, indem Sie ⦁ die Entwicklung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik beschreiben; ⦁ die hinter dem Szenario zu vermutenden Hypothesen über Ursache-Wirkungszusammenhänge in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik herausarbeiten; ⦁ erörtern, inwieweit Sie diese Entwicklungen für (un)wahrscheinlich und (nicht) wünschenswert halten. 135 140 145 150 155 160 165 170 175 180 185 190 195 200 205 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er Ve rla gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |